Freitag, 6. August 2021

Beitrag zum Hiroshima-Tag auf dem Rathausmarkt in Wedel

Rede zum Hiroshima-Tag in Wedel

Rede zum Hiroshima-Tag in Wedel

Meine Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und Bürger von Wedel und Umgebung, liebe Friedensfreundinnen und -freunde!

(Ja, wie redet man heute so ein Publikum heutzutags an?)

Der Vertrag über das Verbot der Atomwaffen1 ist am 22. Januar 2012 in Kraft getreten.

„Der AVV (Atomwaffenverbotsvertrag) verbietet Staaten, Atomwaffen zu entwickeln, zu testen, zu produzieren und zu besitzen. Außerdem sind die Weitergabe, die Lagerung, der Einsatz sowie die Androhung verboten. Darüber hinaus verbietet der Vertrag die Unterstützung solche Aktivitäten. Weiterhin wird den Staaten die Stationierung von Atomwaffen auf eigenem Boden verboten.“

Die schleswig-holsteinische Landtagsfraktion der SPD hat dazu im Kieler Landtag in der Drucksache 19/275 19. vom 05.02.2021 einen Antrag eingebracht:

„Für eine atomwaffenfreie Welt!

Der Landtag wolle beschließen:

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich auf Bundesebene für eine deutsche Unterzeichnung und Ratifizierung des UN-Vertrages über das Verbot von Kernwaffen einzusetzen.“

Denn: Atomwaffen sind eine Herausforderung für die ganze Menschheit. Ihr Einsatz in einem Krieg könnte die Existenz der Gattung Mensch beenden2.

Jedoch: Da die Atomwaffenmächte der Welt nicht bereit sind, dem Vertrag beizutreten, könnte die Sache von vornherein erledigt sein …

1 Atomwaffen für die Bundeswehr?

Die Bundesregierung ist zwar im Prinzip für atomare Abrüstung, aber dagegen, dass Deutschland diesem Vertrag beitritt, der Berliner Tagesspiegel fasst die Begründung so zusammen3:

„Eine deutsche Unterschrift unter den Verbotsvertrag würde einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland nach sich ziehen und in der Nato schwere Konflikte über die Bündnistreue der Deutschen und den Fortbestand des Paktes heraufbeschwören. Denn die Bundesrepublik verfügt zwar nicht über eigene Nuklearwaffen, ist aber indirekte Atomwaffenmacht, weil sie über die Nuklearstrategie der Nato mitbestimmt und Tornado-Kampfflugzeugen bereitstellt, die US-Atomsprengköpfe im Ernstfall ins Ziel tragen. Der Fachbegriff dafür lautet 'nukleare Teilhabe'.“

Was hat es damit auf sich? Etwas zur Geschichte der „Nuklearen Teilhabe“:

Die Führung der Bundeswehr verlangte im August 1960 völlig ungefragt die Ausrüstung sowohl des Heeres als auch der Luftwaffe mit Atomwaffen4.

„Die Bundeswehr muss dieselbe wirkungsvolle Bewaffnung haben wie die verbündeten Schildstreitkräfte. … Wer eine wirksame Landesverteidigung will, kann sich der Notwendigkeit einer Ausrüstung der Schildstreitkräfte (gemeint ist hier vor allem die Bundeswehr; HL) nicht verschließen.“

Dabei wurde die Frage ausgeklammert, wer den Einsatzbefehl für Atomwaffen der Bundeswehr geben sollte. Es wurde deshalb als Griff nach einer eigenen deutschen Bombe verstanden. Die Welt war entsetzt: Atombomben in den Händen ehemaliger Hitler-Generäle? Undenkbar.

Es begann ein langes internationales Tauziehen. Dass die Sowjetunion dagegen war, ist leicht zu verstehen. Aber auch die westlichen Siegermächte und die anderen Staaten in der Nato waren keineswegs glücklich.

Denn bei ihrem Treffen in Camp David 1959 hatten der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower und Nikita Chruschtschow, Generalsekretär der KPdSU, beschlossen, ihren jeweiligen Verbündeten keine Atomwaffen zur Verfügung zu stellen, die USA nicht den Deutschen und die UdSSR nicht den Chinesen5.

Dabei hatte Adenauer 1957 damit gedroht, die Nato platzen zu lassen, wenn die Bundeswehr keine (eigenen!) Atomwaffen bekommt6. Die Führung der Bundeswehr forderte 1960, wie schon gesagt, die Ausrüstung der Bundeswehr mit (eigenen!) Atomwaffen7. Weil die USA das nicht wollten, lancierte sie die Idee einer Nato als multilateraler, integrierter Vierter Atommacht. Der damalige Minister Strauß verlangte Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrecht über Regeln der Lagerung, der Freigabe und des Einsatzes von A-Waffen8. Die anderen Nato-Staaten lehnten durch die Bank ab. Die MLF scheiterte, schlicht, weil die anderen Nato-Staaten Deutschland nicht trauten. Das Projekt wurde endgültig abgeblasen. Wesentlich dafür war neben der Konkurrenz in der Nato die scharfe Ablehnung durch die Sowjetunion. PM Harold Wilson im 23.11.64 im Unterhaus9:

„Das ist die Frage, ob eine gemischt bemannte (atomar bewaffnete; HL) Überwasserflotte dazu führt, dass Deutschland einen Finger an den Abzug bekommt. Der [jetzige] Außenminister und ich haben bei unserem diesjährigen Besuch in Moskau versucht, die sowjetische Befürchtung Befürchtung zu zerstreue, dass der Vorschlag in seiner jetzigen Form tatsächlich bedeute, dass Deutschland einen Finger an den Abzug bekommt. … Ich hatte schon immer den Verdacht, das die sowjetischen Befürchtungen sich nicht so sehr auf auf den gegenwärtigen Vorschlag beziehen als vielmehr auf - gelegentlich erörterte - Möglichkeit, dass das amerikanische Veto durch ein System der Mehrheitsentscheidungen ersetzt werden könnte, bei dem es möglich würde, einen amerikanischen Widerstand gegen einen Einsatz der Bombe zu überstimmen. Eine solche Möglichkeit lehnen wir unwiderruflich ab.“

Mit anderen Worten: Großbritannien akzeptierte ein Veto-Recht der UdSSR gegen jede deutsche Verfügung oder auch nur irgendwie relevante Mitsprache-Beteiligung in Sachen A-Waffen, wie die USA es im Kern schon vorher gemacht hatten und danach wieder machten. Sie stellten jede Arbeit an diesem Projekt ab 1964 ein10. Aber man konnte Deutschland nicht hängen lassen, zu sehr hatte es sich aus dem Fenster gelehnt. Man schuf die „Nukleare Teilhabe“ als Simulation von Teilhabe.

Die UdSSR akzeptierte die Nukleare Teilhabe, anders als das MLF-Projekt, auch beim Nichtverbreitungsvertrag und beim 2+4-Vertrag, weil sie die Bedeutungslosigkeit der Nuklearen Teilhabe unterstellte.

Wenn eine deutsche Regierung jetzt dennoch daran festhalten sollte, kann es - außer dass man vergessen hat, wozu diese „Teilhabe“ einst erfunden wurde - nur den Sinn haben, aus dieser Teilhabe doch noch irgendwann mal was machen zu wollen, nachdem man es statt der UdSSR mit dem schwächeren Russland zu tun, dafür sprechen die immer wieder auftauchenden Diskussionen über strategische Souveränität, die nun mal ohne irgendeine Verfügung über Atomwaffen, gemeinsam mit den oder anstelle der USA, zusammen mit Frankreich oder wie auch immer, nicht zu haben ist. Man will behalten, um mal mehr zu bekommen, als man jetzt hat.

2 Die Debatte im Landtag von Schleswig-Holstein.

Am 25. Februar 2012 debattierte der Landtag in Schleswig-Holstein über den Antrag der SPD-Fraktion, die Landesregierung möge sich bei der Bundesregierung dafür einsetzen, den UN-Vertrag über das Verbot von Kernwaffen zu unterzeichnen.

In der Debatte ging es vor allem um die Frage, ob damit nicht die „Nukleare Teilhabe“ Deutschlands innerhalb der Nato gestört werde und damit die Nato selbst bedroht werde. Besonders die FDP und der SSW argumentierten in diese Richtung, während die CDU mindestens zeitweise Zurückhaltung zeigte, die Grünen zeigten sich offen für den Antrag der SPD. Aber leider hat die Debatte fast keinen Bezug zur konkreten Situation des Landes: Warum denn sind Atomwaffen für Schleswig-Holstein ein besonders wichtiges Thema?

Nur der Abgeordnete Wolfgang Baasch (SPD) ist darauf eingegangen11:

„Warum müssen wir das diskutieren?

Ganz einfach: Wir leben direkt an der Ostsee, einem sensiblen und gefährdeten Binnenmeer. Die Wirklichkeit im Ostseeraum ist, dass wir eine steigende Zahl von stationierten Truppenverbänden haben.

Die Zahl der im Ostseeraum stationierten Truppen macht deutlich: Es wird aufgerüstet und nicht abgerüstet. Auch die Zahl der Atomwaffen nimmt zu - auf allen Seiten. Das macht deutlich, dass auch im Ostseeraum Gefährdungen vorhanden sind.

Im Ostseeraum hat die Zahl der Kriegsübungen zugenommen. Dabei werden Konflikte simuliert, die mit militärischen Mitteln bis zum Einsatz von nuklearen Waffen gehen. Es scheint immer noch Strategen zu geben, die glauben, bei einem atomaren Krieg gebe es nur einen Sieger. Welch ein Wahnsinn!

Gleichzeitig nimmt - nicht nur bei diesen Übungen - die Zahl der Luftraumverletzungen zu. Direkt an der Grenze zwischen NATO und EU auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite ist dies eine direkte Bedrohung für den Frieden. Dazu müssen wir uns verhalten. Dazu müssen wir uns in den internationalen Diskussionen, an denen wir teilnehmen, verhalten.

Ostseepolitik muss Friedenspolitik sein. Im Ostseeraum arbeiten Staaten der NATO, der EU und Russland sowie die vielfältigen Regionen zusammen - seit 1991 zum Beispiel in der BSPC. Eine Zusammenarbeit, die gemeinsame Verantwortung für den Ostseeraum übernimmt. Die Staaten und Regionen suchen Lösungen für soziale, wirtschaftliche, Umwelt- und Klimafragen im Ostseeraum.

Deshalb gehört diese Debatte in diesen Landtag. Deswegen ist es auch richtig, das Thema aufzugreifen und dafür zu sorgen, dass wir uns aktiv für eine friedliche Welt ohne Atomwaffen einsetzen.“

Auf seinen Beitrag wurde im weiteren Verlauf der Debatte leider kaum Bezug genommen.

3 Atomwaffen und Abschreckung

Die Rechtfertigung, sie seien nicht für einen Krieg vorgesehen, sondern dienten der Abschreckung, kann nicht überzeugen, schon gar nicht, wenn wir über die Bundeswehr und die Atomwaffen reden.

Denn nur jene Waffen, die im Zweifel eingesetzt werden, können abschrecken. Deshalb ist bei ihrer Beurteilung von ihrem Einsatz, genauer: den Folgen ihres Einsatzes auszugehen. Selbst „kleine“ Einsätze von Atomwaffen hätten weltweit verheerende Folgen12, von den Folgen eines Einsatzes in einem Krieg der großen Atommächte gegeneinander gar nicht erst zu reden. Das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) hat die Auswirkungen einer Atom-Explosion über Hamburg dargestellt13.

Deutschland ist atomwaffengefährdetes Gebiet. Das folgt schon aus der so genannten „Nukleare Teilhabe“.

Klar ist deshalb nur, dass deutsche Luftwaffen-Soldaten anstelle us-amerikanischer in einem Kriegsfall US-Bomben in östliche Richtung tragen, damit sie dort explodieren. Dass diese „Nukleare Teilhabe“ Deutschlands Sicherheit erhöht, kann nur geglaubt werden14, eine etwas dürftige Weise der Vergewisserung, wenn es um Sein oder Nicht-Sein nicht nur Deutschlands, sondern womöglich der ganzen Menschheit geht.

Die Neuorientierung der Nato nach den Ereignissen in der Ukraine 201415 hat zu einer Konfrontation zwischen westlichen Staaten (Nato plus Schweden + Finnland) und Russland in der Ostsee, genauer in der östlichen Ostsee, den angrenzenden baltischen Staaten einerseits, der russischen Exklave Kaliningrad, Belarus und westlichen Gebieten Russlands geführt. Dort ist eine Zone der Gefahr entstanden, deren Gefährlichkeit und Brisanz öffentlich noch kaum wahrgenommen wird. Flottillenadmiral Christian Bock, der Kommandeur der Einsatzflottille 1 (Ostsee) der Deutschen Marine, stellte auf dem „Kiel International Seapower Symposion 2019“ zutreffend fest16:

„Kein Gebiet Europas ist so stark militarisiert wie der Ostseeraum, wo sich auf engem Raum NATO und EU sowie Russland gegenüber stehen. Mit der Wiederbelebung der Landes- und Bündnisverteidigung steht der Ostseeraum u.a. als Verbindungsweg zu den östlichen NATO-Partnern für die Deutsche Marine wieder im Zentrum der maritimen Verteidigungsanstrengungen.“

Für dieses Gebiet wird Krieg nicht nur irgendwie geplant, sondern vorbereitet. Weil „Vorberereitung“ oft empört bestritten wird: Die Vorbereitung von Krieg ist im Frieden eine normale Aufgabe von Militärs, unabhängig davon, ob die Politik das auch will, jetzt oder zu einem späteren Zeitpunkt17.

Das geht in diesem Fall nicht ohne Probleme. Eine der großen Schwierigkeiten der westlichen Streitkräfte (= Nato + Schweden und Finnland) besteht darin, dass die Nato-Mitglieder Estland, Lettland und Litauen nur eine sehr anfällige Landverbindung nach Polen haben, die jederzeit von Russland und Belarus gesperrt werden könnte. Die „Lücke von Suwałki“ ist ein schmaler Streifen zwischen dem russischen Oblast Kaliningrad und Belarus. Die Nato kann nicht davon ausgehen, in einem Kriegsfall genügend Mannschaften und Ausrüstungen in Richtung Front nach Nordosten transportieren zu können.

Den Vorbereitungen der Nato auf diese missliche Lage im östlichen Ostseegebiet sind Grenzen gesetzt: Größere Mengen an Landtruppen der Nato können aufgrund des 2+4-Vertrags zur Einheit Deutschlands und der Nato-Russland-Grundakte von 1997 nur westlich der alten Westgrenze der DDR stationiert werden, während Russland und Belarus auf ihrem Territorium nicht gehindert sind. An diesem aus der Sicht des Westens misslichen Sachverhalt ändern auch die Defender-Übungen nichts, mit denen die Möglichkeiten des Transports großer Landtruppen-Verbände von der Nordsee an die mittel- und nordeuropäische Ostfront entwickelt werden sollen. Diese Truppen werden immer zu spät kommen, der Krieg am östlichen Rand der Ostsee wäre dann immer schon verloren.

Die westlichen Streitkräfte könnten Ihren Bündnispartner auch nicht von See her zur Hilfe zu kommen, Russland hat, glaubt man vielen westlichen Texten, die Möglichkeit, die Ostsee auf der Höhe des Baltikums für jeden Verkehr zu sperren18. Obendrein könnte Russland mit Raketen, deren Reichweite bei 500 km liegt und von denen gesagt wird, sie könnten mit Atomsprengköpfen ausgestattet werden19, jeglichen Aufmarsch von Nato-Truppen in Polen und in deutschen Nordosten verhindert werden.

Es liegt nahe, dieses Problem mit den härtesten zur Verfügung stehenden Mitteln zu lösen: Atombomben zur Vernichtung der Festung Kaliningrad. Exakte Belege gibt es nicht, aber brauchbare Vermutungen20. Und in der Tat umkreist immer wieder atomwaffenfähige Bomber B-52 das Kaliningrader Gebiet21. Vielleicht üben sie nur, wie der Seezugang nach Kaliningrad vermint wird, vielleicht aber üben sie den Abwurf von Atombomben22.

Keineswegs zufällig dürften auch russische Atombomber23 immer wieder auch über der Ostsee zu sehen sein.

In Texten aus dem Westen kann man lesen, dass Russland sich auf den Einsatz von Atomwaffen als Gefechtsfeldwaffen vorbereitet, um den Erfolg ihrer Landstreitkräfte erzwingen zu können. Deshalb müsse der Westen ebenfalls Atomwaffen für solche Gefechtsfelder vorbereiten, wenn auch mit der Absicht, Russland vom Einsatz von Atomwaffen in der einzelnen Schlacht abzuhalten24. Ob diese Sicht auf die russische Militärdoktrin stimmt oder auch nicht25: Man kann sie als Hinweis nehmen, dass die von Atomwaffen ausgehenden Gefahren noch ernster zu nehmen sind, als mancher bisher meinte.

In der Nato sind diese Gefahren durchaus bekannt, es wird deshalb an Entwürfen für Kriegsvorbereitungen gearbeitet, die die Atom-Gefahr umgehen26. Der leitende Gedanke ist, dass der Westen Kaliningrad so schnell vom Lande oder von der Ostsee aus angreifen können muss, dass die überraschte russische Armee aufgibt. Danach habe Russland nicht den Mut, als erste Macht Atomwaffen einzusetzen, denn das würde es weltweit politisch isolieren.

Diese Gedanken können nicht leisten, was sie versprechen. Zum einen schlicht deshalb, weil Krieg oft anders verläuft, als seine Planer sich versprechen. Hier hat man es sogar mit der Hoffnung zu tun, der überraschte Feind ließe sich eben überraschen und gebe danach auf27.

Diese militärischen Konzepte können also die Gefahr eines Atomkriegs im Gebiet der östlichen Küste der Ostsee nicht mindern, schon gar nicht beseitigen. Sie zeigen vielmehr in dieser konkreten Lage die massiven Defizite von Politik und Militär im Umgang mit dieser Gefahr. Für diese Lage im Raum von Ostsee und Baltikum trifft zu, was 56 ehemalige Spitzenpolitikerinnen und -politiker, darunter zwei Ex-NATO-Generalsekretäre, in einem „Offenen Brief“ im September 2020 festgestellt haben28:

„Es ist nicht schwer, voraus zu sehen, wie kriegerische Rhetorik und schlechtes Urteilsvermögen der Politiker in nuklear bewaffneten Nationen zu einem Unglück führen könnten, das alle Länder und Völker in Mitleidenschaft zieht.“

4 Aber hilft der Atomwaffenverbotsvertrag bei diesen Gefahren?

Die Atomwaffenmächte USA und Russland wollen dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beitreten, die Nato will ihn nicht unterstützen. Also scheint er nichts bewirken zu können. - Ein deutsches Bundesland hat dabei sowieso nur geringe bis gar keine Möglichkeiten.

Vielleicht hilft es, den Beitritt Deutschlands zu diesem Vertrag als eine langfristige Aufgabe anzusehen.

Die gegenwärtige Situation ist im Ostseebereich sowieso voller Gefahren, eine der gefährlichsten Gegenden der Welt. Es gehört zu den dringenden Aufgaben der Politik, diese Gefahren zu verringern29. Das betrifft aber nicht nur Gefahren, die aus Zufällen, Ungeschicklichkeiten oder schlechter Kommunikation entstehen. Es sind vielmehr auch Absprachen und Abstimmungen über die Stationierungen von Truppen erforderlich. Dazu müssen auch Absprachen und gegenseitige Kontrollen über Atomwaffen gehören. Die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone Ostsee gehört auf die Tagesordnung der europäischen Politik.

Solch eine Zone zu schaffen, wäre eine schwierige Aufgabe. Neben politischen Einwänden würde es zig militärische Einwände geben. Die Politik müsste in Abstimmung mit Militärs aller Teilnehmerstaaten solch einer Atomwaffenfreien Zone die geografischen Grenzen – einschließlich jener, die Flugzeuge umfassen, die in das Ostseegebiet einfliegen können – festlegen, vielleicht mit einer Kernzone und Randzonen, für die gestufte Beschränkungen vereinbart werden können. Vorschläge dazu liegen vor30.

5 Was kann der Landtag von Schleswig-Holstein tun?

Ein deutsches Bundesland hat verfassungsmäßig vernünftigerweise keine Möglichkeit, für die Bundesrepublik Deutschland außenpolitisch zu handeln. Aber es kann Akzente setzen, mit denen der Rahmen außenpolitischen Handelns beeinflusst wird. Der Antrag der SPD wird wohl nicht zufällig konkreter. Was kann also geschehen?

5.1 The Baltic Sea Parliamentary Conference

So könnte Schleswig-Holstein die Gefahr der atomaren Zerstörung des Ostseeraums nach Abschnitt 1.3 der Geschäftsordnung zum Thema auf der The Baltic Sea Parliamentary Conference machen31.

5.2 Das Thema im Unterricht:

Das Bundesland Schleswig-Holstein kann in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich die Atomwaffenproblematik unter Beachtung des „Beutelsbacher Konsenses“32 zum grundlegenden Thema der politischen Bildung in der Schule machen. Dementsprechend ist das „Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein“ (IQSH) zu beauftragen. Im Lehrplan „Fachanforderungen Wirtschaft/Politik“33 fehlt der ganze Themenbereich „Internationale Politik / Krieg und Frieden“ im Bereich der Sekundarstufe I unverständlicherweise vollständig, von Atomwaffen ist dort erst recht nicht die Rede; für die Sekundarstufe II wird das Atomwaffenproblem (S. 39) nicht unter die „grundlegenden Inhalte“, sondern unter die „vertiefenden Inhalte“ geführt.

In einer Überarbeitung des Lehrplans sollten Änderungen eingearbeitet werden, die der existenziellen Bedeutung des Themas entsprechen34. Es wäre auch zu wünschen, dass das IQSH schon mit der Erarbeitung und Verbreitung dazu gehörender Muster-Unterrichtseinheiten beginnt. Solch eine Unterrichtseinheit müsste Aussagen über die Folgen eines Atomwaffeneinsatzes im Ostseeraum, die Argumente Pro und Contra „Abschreckung“ und ein Diskussionsangebot zur konventionellen und zur nuklearen Abrüstung und zum Atomwaffenverbotsvertrag enthalten, um den Schülerinnen und Schülern ein eigenständiges Urteil zur Kontroverse zu ermöglichen. Die kontroverse Debatte im schleswig-holsteinischen Landtag vom 25. Februar 2021 wäre ein sehr gutes Material.

Dr. Horst Leps, Elersweg 17, 22395 Hamburg, 06.08.2021, horstleps@gmx.de

Fußnoten:

2

Anders, Günter: Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypseblindheit, in ders.: Die Antiquiertheit des Menschen Bd. 1, S. 233 – 324

4

Stellungnahme der Bundeswehrführung zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr vom August 1960, unterschrieben von Vizeadmiral Ruge, in v. Schubert, Bd1 S, 206 f.

5

*: Non-Proliferation oder die Verhinderung der Ausbreitung von Kernwaffen, in: Vereinte Nationen, Bonn, 6/1963, nach: Kahn, Helmut Wolfgang, Der Kalte Krieg Bd2, Pahl-Rugenstein, 1987, 113ff.

6

Rede des Bundeskanzlers Konrad Adenauer vor dem Bundesparteivorstand der CDU in Hamburg, in: Schubert, Klaus v.: Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, Teil II, S. 200f, hier S. 203

7

Stellungnahme der Bundeswehrführung zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr, in: Schubert, S. 206

8

Strauß, FJ: Rede im Bayerischen Rundfunk 20.12.1961, in: Schubert, S. 209

9

Harold Wilson, in: Schubert S. 227

10

Kahn, S. 274

11

Schleswig-Holsteinischer Landtag, Plenarprotokoll 19/111, 19. Wahlperiode 111. Sitzung, Donnerstag, 25. Februar 2021, S. 8488, https://www.landtag.ltsh.de/export/sites/ltsh/infothek/wahl19/plenum/tagesordnung/2021/to_19-045_03-21.pdf

12

Röhrlich, Dagmar: Studie berechnet weltweite Folgen eines regionalen Atomkriegs, https://www.deutschlandfunk.de/am-beispiel-indien-und-pakistan-studie-berechnet-weltweite.676.de.html?dram:article_id=460717; Was passiert, wenn eine Atombombe deine Stadt trifft? https://blogbuzzter.de/2020/07/atombombe-auf-deine-stadt/, NUKEMAP, https://nuclearsecrecy.com/nukemap/

13

IFSH: Was würde bei einem Atombombenabwurf über Hamburg passieren? Erklärvideo, https://ifsh.de/news-detail/was-wuerde-bei-einem-atombombenabwurf-ueber-hamburg-passieren; IFSH: Was passiert, wenn eine Atombombe explodiert? https://www.youtube.com/watch?v=ytqw4tklBLk; Redaktion Telepolis: Atomarer Schlagabtausch - Folgen einer 800-Kilotonnen-Explosion in Deutschland, https://www.heise.de/tp/features/Atomarer-Schlagabtausch-Folgen-einer-800-Kilotonnen-Explosion-in-Deutschland-6136578.html, hier am Beispiel Kiels.

14

Fuhrhop, Pia / Kühn, Ulrich / Meier, Oliver: Welchen Sinn haben deutsche Atombomber?, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/f-18-welchen-sinn-haben-deutsche-atombomber-a-63ccf36e-afb6-499e-97bc-c33bc9360ec6

15

Erklärung des Gipfels von Wales – Herausgegeben von den Staats- und Regierungschefs, die an der Tagung des Nordatlantikrates in Wales teilnehmen, Abschnitte 5–13, https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_112964.htm, Kommuniqué des Warschauer Gipfels – Hrsgg von den Staats- und Regierungschefs, die an der Tagung des Nordatlantikrates vom 8.-9. Juli 2016 in Warschau teilnehmen, Abschnitte 35 – 40, https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_133169.htm

16

nach Stockfisch, Dieter: Update der Allied Maritime Strategy - Kiel International Seapower Symposium 2019, in MarineForum 9/19

17

Militärs sprechen davon, ihre Ausbildung und Vorbereitung sei „vom scharfen Ende“ (Grundsatzrede des neuen Marine-Inspekteurs: https://www.bundeswehr.de/resource/blob/5099808/492855c85ef1f5f9ac1e59f180911b22/20210625-grundsatzrede-inspm-100-tage-data.pdf, S. 12) her zu denken, eben vom Krieg.

18

nach Krüger, Arne Björn: Von der Denkfabrik zur Relaisstation für die Ostsee, Marineforum 6-2019

19

Hagen, Joachim / Weigel, Julia: STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN - Schwerpunkt US-Atomwaffenmodernisierung – teuer und sicherheitspolitisch gefährlich?, https://www.ndr.de/nachrichten/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/sendemanuskriptstreitkraefte128.pdf und https://www.ndr.de/nachrichten/info/podcast2998.html

20

Peck, Michael: New Report Suggests Russia’s Enclave of Kaliningrad Might Need to be Militarily ‚Neutralized‘, https://nationalinterest.org/blog/the-buzz/new-report-suggests-russias-enclave-kaliningrad-might-need-20398

21

https://twitter.com/hdevreij/status/1187017219114504194 und Pawlak, Jan / Bruns, Sebastian: Die Ostsee ist nicht Las Vegas - das Mare Balticum im sicherheitspolitischen Kontext, MarinForum 2019/6; Axe, David: Russia Is Scared: America Has A Secret Plan to Attack Kaliningrad (If Necessary), https://nationalinterest.org/blog/reboot/russia-scared-america-has-secret-plan-attack-kaliningrad-if-necessary-185450

24

Matthew Kroenig: Russlands Nuklearstrategie gegenüber Europa – wie organisiert man Abschreckung gegen Deeskalation mit nuklearen Schlägen? SIRIUS 2018; 2(4): 398–400, hier S.398

25

s. Brauß, Heinrich + Rácz, András: Russia’s Strategic Interests and Actions in the Baltic Region, https://dgap.org/sites/default/files/article_pdfs/210107_report-2021-1-en.pdf, dazu Leps, Horst: Bemerkungen zu Russia’s Strategic Interests and Actions in the Baltic Region vom January 07, 2021, https://friedenslage.blogspot.com/2021/02/bemerkungen-zu-russias-strategic_24.html

26

Beispiele sind Rackwitz, Sascha: Clausewitz, Corbett und Corvetten – Great Power Competition durch die Augen eines Meliers“, Marineforum 1/2 – 2021; Hooker, R. D.: HOW TO DEFEND THE BALTIC STATES, https://jamestown.org/wp-content/uploads/2019/10/How-to-Defend-the-Baltic-States-full-web4.pdf

27

Leps, Horst: Unlösbare Probleme – Kriegsvorbereitungen in der Ostsee und rundum, https://friedenslage.blogspot.com/2021/02/friedenslage-08032021.html; Leps, Horst: Redemanuskript zur Veranstaltung gegen Rüstungsexport, https://friedenslage.blogspot.com/2021/04/friedenslage-am-22042021-160125.html

29

Richter, Wolfgang: Höchste Zeit, die militärischen Risiken in Europa einzudämmen, https://www.swp-berlin.org/publikation/hoechste-zeit-die-militaerischen-risiken-in-europa-einzudaemmen

30

Beispielsweise Richter, Wolfgang: Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa – vom Gleichgewicht der Blöcke zur regionalen Stabilität in der Krise, SWP-Studie 2019/S, 17.07.2019, https://www.swp-berlin.org/publikation/erneuerung-der-konventionellen-ruestungskontrolle-in-europa/#hd-d61458e2922

34

Zum „Existenziellen“ in der Politischen Bildung: Hilligen, Wolfgang: Zur Didaktik des politischen Unterrichts I, 1975, S. 28f

Datum: 06.08.2021

Autor: Dr. Horst Leps

Created: 2021-08-06 Fri 22:22

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