Montag, 30. Oktober 2023

Friedenslage am 30.10.2023 (12:50:37)

„Das Weiße Haus verliert den Nachrichtenkrieg gegen die Ukraine. Jetzt
ändert es die Botschaft."
https://www.politico.com/news/2023/10/25/biden-ukraine-aid-messaging-00123466

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| "Während wir unsere Waffenbestände auffüllen, arbeiten wir mit der
| US-Verteidigungsindustrie zusammen, um unsere Kapazität zu erhöhen und
| die Bedürfnisse der USA und unserer Verbündeten jetzt und in Zukunft zu
| erfüllen", so eine Kopie der von POLITICO erhaltenen Gesprächspunkte.
|
| „Diese zusätzliche Anfrage investiert über 50 Milliarden Dollar in die
| amerikanische Verteidigungsindustriebasis - um sicherzustellen, dass
| unser Militär weiterhin die bereitste, fähigste und am besten
| ausgestattete Kampfkraft ist, die die Welt je gesehen hat - und die
| Produktionslinien zu erweitern, die die amerikanische Wirtschaft zu
| stärken und neue amerikanische Arbeitsplätze zu schaffen", heißt es in
| dem Dokument. ...
|
| „Keine Amerikaner werden in der Ukraine getötet. Wir bauen unsere
| industrielle Basis wieder auf. Die Ukrainer zerstören die Armee eines
| unserer größten Rivalen. Es fällt mir schwer, daran etwas falsch zu
| machen. Ich denke, es ist wunderbar, dass sie sich verteidigen", sagte
| er auf CBS Face the Nation.
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In den USA mag das ein Argument sein: Der zweite Weltkrieg ermöglichte
eine Kriegskonjunktur, mit der erst die Weltwirtschaftskrise von 1929ff
überwunden wurde, der Korea-Krieg hatte konjunkturelle Folgen, die bis
zum deutschen Wirtschaftswunder reichten. Aber in Deutschland läuft das
so nicht als Argument. Hier hat man einerseits die Moral, andererseits
nur einen halben Blick. Das reicht bislang.




„Boris Pistorius: "Wir müssen kriegstüchtig werden""
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-10/pistorius-modernisierung-bundeswehr-kriegsgefahr-europa

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| Boris Pistorius fordert einen "Mentalitätswechsel" – und mehr
| Wehrhaftigkeit. Deutschland müsse sich an den Gedanken eines Krieges in
| Europa gewöhnen.
|
| Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat einen
| "Mentalitätswechsel" der Deutschen in Sicherheitsfragen gefordert. "Wir
| müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines
| Krieges in Europa drohen könnte", sagte Pistorius in der ZDF-Sendung
| Berlin direkt. "Und das heißt: Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir
| müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür
| aufstellen."
`----

In Europa gibt es schon Krieg: In der Ukraine. Wenn dieser Krieg nicht
gemeint sein sollte, weil die Ukraine in manchem Sprach- und Denkbrauch
genauso wenig zu Europa gehört wie Russland, kann damit nur ein Krieg
auf mitteleuropäischem, also letztlich deutschem Territorium gemeint
sein. Pistorius hält einen Krieg europäischer Länder mit Russland
über den westlichen Rand der Ukraine hinaus, also mit den baltischen
Staaten und Polen, nach Deutschland ausgreifend, für möglich.

https://www.tagesspiegel.de/politik/wir-mussen-kriegstuchtig-werden-pistorius-fordert-neue-mentalitat-und-mehr-wehrhaftigkeit-10702183.html




„Militärexperte Carlo Masala warnt vor der Möglichkeit einer russischen
Attacke auf ein Nato-Land. Auch die Bundeswehr wäre involviert."
https://www.abendblatt.de/politik/article239889921/russland-carlo-masala-putin-gefahr-baltikum-ukraine.html

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| Carlo Masala: Sollte sich Russland in der Ukraine durchsetzen und 17 bis
| 18 Prozent des ukrainischen Staatsterritoriums dauerhaft besetzt halten,
| dann halte ich es für nicht unwahrscheinlich, dass es auf längere Sicht
| den russischen Versuch geben wird, einen oder mehrere baltische Staaten
| konventionell anzugreifen. Die Lehre, die Russland gezogen hat, ist,
| dass kein Land massiv gegen einen Nuklearwaffenstaat vorgehen
| will. Moskau könnte sich die Frage stellen, ob die Nato bereit wäre,
| gegebenenfalls eine nukleare Eskalation zu riskieren, wenn Russland
| konventionell ein relativ kleines Territorium – auch wenn es ein
| Nato-Mitgliedsstaat ist – angreift.
|
| Halten Sie nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine auch eine
| Attacke auf Deutschland für möglich?
|
| Masala: Nein, das halte ich momentan für relativ unwahrscheinlich. Das
| heißt nicht, dass im Zuge eines solchen Angriffs zur Abschreckung auch
| Raketen gegen Nato-Mitgliedsstaaten eingesetzt werden würden.
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Hm, man kann sich über den Null-Militärexperten Masala lustig machen,
wohl der lausigste unter denen, die von Massenmedien für ihre
Auslassungen bezahlt werden, meint er doch, dass Russland, das noch
nicht mal Kiew erreicht, in durchgedrehter Stimmung über Vilnius zur
Ostsee bis nach Kaliningrad will und dabei so ganz nebenher Berlin
vernichten möchte. Der ernste Kern könnte sein, dass so mancher im
Westen inzwischen davon ausgeht, dass der Krieg in der Ukraine schon
verloren ist und nun darüber nachsinniert werden muss, welche Folgen das
haben kann. Eine Möglichkeit wäre ja, dass der Westen Truppen in die
Ukraine schickt, nicht als Nato-Truppen, sondern als irgendwie maskierte
Freiwilligen-Bataillone, um den Zusammenbruch der Ukraine aufzuhalten
und in der West-Ukraine einen provisorischen Staat zu errichten. Diese
Bataillone kämen dann aus den baltischen Staaten und Polen. Eine
„Koalition der Willigen"
https://www-theguardian-com.translate.goog/world/2023/jun/07/nato-members-may-send-troops-to-ukraine-warns-former-alliance-chief?_x_tr_sl=auto&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de. Es
könnte sein, dass Russland dann eine Teilung der Ukraine akzeptiert, es
könnte aber auch sein, dass der Krieg mit gesteigerter Intensität
fortgesetzt wird. Und eben dann käme die Vision von Pistorius ins Spiel:
Deutschland wäre dann unmittelbares Hinterland des kriegerischen
Frontstaats Polen. Aus Polen selbst kommen immer wieder Wünsche,
Deutschland solle sich darauf vorbereiten, Polen bei seinen Bemühungen,
die militärische Vormacht Osteuropas zu werden, zu unterstützen.

So bekommen die Äußerungen von Pistorius Sinn: Deutschland muss sich auf
den Nach-Krieg nach der Niederlage in der Ukraine so vorbereiten, dass
dieser Nachkrieg nicht Waffenstillstand, schon gar nicht Frieden werden
könnte, sondern weiter andauernder Krieg, nach Westen verschoben.



Über Kriegsziele:
https://threadreaderapp.com/thread/1717826824011493587.html

,----
| 2. Tatsächlich ist nur eine Frage relevant. Ist der Einsatz
| militärischer Gewalt geeignet, um vorher definierte politische Ziele
| durchzusetzen? Im Ukrainekrieg wird neuerdings darauf hingewiesen, dass
| Russland als Großmacht geschwächt worden sei. Was ist die Logik dieses
| Ziels?
|
| 3. Die Ukraine wird damit als Stellvertreter der USA in der globalen
| Auseinandersetzung über die zukünftige Weltordnung definiert. So wird
| jetzt im amerikanischen Wahlkampf argumentiert. Allerdings ist das eher
| der klägliche Versuch, dem Ganzen nachträglich einen Sinn zu geben.
|
| 4. Schließlich ist selbst dieser Krieg in den USA so unpopulär, weil es
| dort schon seit Clinton eine isolationistische Stimmung gibt, die der
| Rolle als Weltpolizist überdrüssig ist. Da hilft nicht einmal mehr der
| Hinweis, dass dort keine amerikanischen Soldaten sterben.
|
| 5. Die Abwesenheit erreichbarer politischer Ziele führt zur
| Ideologisierung des Krieges, wo beide Seiten nur noch mit Parolen wie
| 'Freiheit statt Knechtschaft" den Krieg zu Hause legitimieren
| wollen. Die ukrainische Gegenoffensive ist das beste Beispiel für diesen
| Mechanismus.
|
| 6. Sie erreichte kein einziges Ziel, noch nicht einmal Russland an den
| Verhandlungstisch zu bringen. Absurde Ideen, wie die Rückeroberung der
| Krim, lassen wir einmal weg. Alle Akteure fallen zunehmend ihrer eigenen
| Propaganda zum Opfer, weil sie eines wie nichts anderes fürchten:
|
| 7. Dass sich die Sinnlosigkeit des Krieges herausstellt, dessen Ausbruch
| und Fortsetzung sie zu verantworten haben. Die Legitimation der Ukraine,
| sich gegen den russischen Abgriffskrieg zu verteidigen, ist eine
| Binsenweisheit. Nur ist das kein oben definiertes politisches Ziel.
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Solche Bemerkungen zeigen die politische, intellektuelle und moralische
Hilflosigkeit unserer Politik und ihrer Experten. Aber sie sind spät, zu
spät. Jetzt wäre zu klären, mit welchen Zielen der Krieg fortgesetzt
wird, obwohl die Ziele der Waffenlieferungen, die Verneinung von
Verhandlungen für dieses Jahr nicht erreicht worden sind, ohne Aussicht,
dass es im nächsten Jahr besser wird. Welchen politischen Sinn, welchen
politischen Zweck, welches politische Ziel hat die Fortsetzung des
Kriegs jetzt? Dass keine rationale Auskunft über ein gemeinsames
Kriegsziel gegeben wird, heißt ja nicht, dass die Beteiligten keines
hätten, jeweils für sich. Es könnte ja auch sein, dass nur kein
gemeinsames Kriegsziel geschrieben werden kann, der Krieg also nur
deshalb weiter geht, weil er hat weiter geht, denn sonst müsste man sich
ja auf ein Ziel einigen, das nach der Erreichung des Ziels eine
Beendigung des Kriegs ermöglichte.

Nein, der Krieg soll weiter gehen. Egal, was passiert.




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