Freitag, 3. Juli 2020

Friedenslage am 03.07.2020 (12:50:01)

"Jalta statt Versailles – Wladimir Putin legitimiert seine Vision einer
multipolaren Weltordnung mittels Geschichtsklitterung"
https://www.nzz.ch/feuilleton/praesidiale-geschichtsklitterung-putin-macht-den-stalin-ld.1563980
Insgesamt ist der Beitrag von Putin in "Nationalinterest" (deutsch hier:
https://russische-botschaft.ru/de/2020/06/19/75-jahrestag-des-grossen-sieges-gemeinsame-verantwortung-vor-geschichte-und-zukunft/)
im deutschsprachigen Raum wenig beachtet worden. Es sieht so aus, dass
manche der Meinung sind, eine Auseinandersetzung sei nicht mehr nötig,
die Antirussland-Positionen seien in den Medien - und damit in den
Köpfen des Publikums? - schon hinreichend festgeklopft.

Die NZZ hat zwei Wochen gebraucht, um einen Beitrag zu Putins Text
abzudrucken. Dieser Text erwähnt zwar Putins zentrale These,

,----
| Am Anfang des Kriegs stehe vielmehr das Münchner Abkommen von 1938, das
| auf das Konto der britischen und französischen Appeasementpolitik gehe.
`----
setzt sich mit ihr jedoch nicht auseinander. Er zitiert schief:

,----
| Putin wendet in seiner eigenwilligen Geschichtserzählung verschiedene
| Kunstgriffe an. Er übernimmt etwa einen vieldiskutierten Ansatz des
| Historikers Christopher Clark und wendet ihn auf den Zweiten Weltkrieg
| an. Clark hatte die These aufgestellt, die europäischen Mächte seien in
| den Ersten Weltkrieg «schlafgewandelt» – eine eindeutige Kriegsschuld
| lasse sich nicht feststellen. Analog schreibt Putin in seinem Artikel:
| «Es ist ungerecht zu sagen, dass der zweitägige Besuch des
| Nazi-Aussenministers Ribbentrop in Moskau der Hauptgrund für den Beginn
| des Zweiten Weltkriegs war. Alle führenden Länder waren bis zu einem
| gewissen Grad verantwortlich für den Ausbruch. Jedes Land machte fatale
| Fehler und glaubte arrogant, dass man die anderen übervorteilen,
| einseitige Vorteile sichern oder sich von der drohenden Weltkatastrophe
| fernhalten könne.»
|
| In diesen Sätzen ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Putin
| signalisiert, dass die Sowjetunion nicht mit Nazideutschland, sondern
| mit den anderen europäischen Mächten auf eine Stufe gestellt werden
| soll. Er verkennt dabei allerdings, dass Grossbritannien und Frankreich
| Ende der dreissiger Jahre ganz im Gegensatz zur Sowjetunion keine
| expansionistischen Ziele verfolgten.
`----

Das Zitat entreißt er seinem Kontext, bei Putin heißt es:

,----
| Der Zweite Weltkrieg brach nicht von heute auf morgen aus, er begann
| nicht unerwartet, nicht plötzlich. Und die deutsche Aggression gegen
| Polen war auch nicht unerwartet. Es ist das Ergebnis vieler Tendenzen
| und Faktoren in der Weltpolitik jener Zeit. Alle Vorkriegsereignisse
| reihten sich in eine schicksalhafte Kette ein. Aber das Wichtigste, was
| die größte Tragödie in der Geschichte der Menschheit vorbestimmte, war
| natürlich der staatliche Egoismus, die Feigheit, die Nachsicht gegenüber
| einem Aggressor, der an Stärke gewann, und die Nichtbereitschaft der
| politischen Eliten, einen Kompromiss zu suchen.
|
| Daher ist es ungerecht zu behaupten, dass der zweitägige Besuch des
| Nazi-Außenministers Ribbentrop in Moskau der zentrale Grund ist, der zum
| Zweiten Weltkrieg geführt hat. Alle führenden Länder haben seinen
| Ausbruch in dem einen oder anderem Maße zu verantworten. Jedes von denen
| hat nicht wieder gut zu machende Fehler in der selbstgefälligen
| Zuversicht begangen, dass man andere überlisten, einseitige Vorteile für
| sich gewinnen und dem heranrückenden globalen Unheil ausweichen
| kann. Für diese Kurzsichtigkeit, für den Verzicht auf die Schaffung
| eines Systems der kollektiven Sicherheit mussten Millionen Menschen mit
| ihrem Leben und riesigen Verlusten zahlen.
`----

Mit Clarks Taumelthese hat das nichts zu tun. Es gibt nach Putin
vielmehr eindeutig einen Aggressor, einen Kriegsschuldigen. Es hat
vielmehr einerseits einen Versuch gegeben, ein europäisches System
kollektiver Sicherheit gegen diesen Aggressor zu schaffen, und
andererseits verschiedene Versuche europäischer Mächte, aus der
bedrohlichen Lage ihren jeweiligen Vorteil zu ziehen. Putin benennt
diesen Vorteil nicht: "München" diente dazu, die deutschen Aggressionen
nach Osten zu lenken. Putin will ja schließlich wieder ein
Kooperationsverhältnis mit diesen westlichen Staaten herstellen. Aber
immerhin schreibt die NZZ:

,----
| Putin nennt das Münchner Abkommen von 1938 korrekt einen «Verrat» an der
| Tschechoslowakei und rühmt die Sowjetunion als einzige Macht, die sich
| damals für den bedrängten Staat einsetzte.
`----

Und dann wird es pieselich in der NZZ:

,----
| Putin erwähnt etwa, dass die Rote Armee zwischen Oktober 1941 und März
| 1943 bei der Schlacht von Rschew «1 342 888 Soldaten» verloren
| habe. Später bedankt er sich für die «bedeutende» Militärhilfe der
| Alliierten, die «etwa 7 Prozent» der sowjetischen Militärproduktion
| betragen habe. Das Understatement ist beabsichtigt. Die nackte Zahl soll
| dem Leser das Mantra der russischen Geschichtspolitik verdeutlichen: Die
| Sowjetunion trägt den Hauptanteil des Sieges über
| Nazideutschland. Zahlen aus der neusten Forschung zeichnen ein
| differenzierteres Bild: Die Sowjetunion wandte insgesamt 192 Milliarden
| Dollar für die Kriegskosten auf, die USA 272 Milliarden und
| Grossbritannien 120 Milliarden.
`----
Soll man jetzt ernsthaft glauben, die USA hätten die "Hauptlast"
im Krieg gegen Deutschland getragen? Zu den Kriegskosten in Dollar: Wenn
gegenwärtig festgestellt wird, dass Russland einen verschwindend kleinen
Rüstungsetat im Vergleich zu den Etats der Nato-Staaten hat, wird auf
die unterschiedliche Kaufkraft des Geldes innerhalb der Länder verwiesen
und damit die Rüstungsausgaben Russlands hochgerechnet. Diese Zahlen
sind also ohne Belang, solange man nicht weiß, wie sie zustande gekommen
sind.

Gegen Schluss schreibt Putin über die gegenwärtigen
Menschheitsherausforderungen und die Möglichkeiten der UNO, für ihre
Lösung einen institutionellen Rahmen zu stellen. Nichts dazu von der
NZZ. Stattdessen:

,----
| Bei der Gründung der Vereinten Nationen konnte der sowjetische Diktator
| sogar die absurde Regelung durchsetzen, dass neben der Sowjetunion auch
| die Unionsrepubliken Weissrussland und Ukraine als vollberechtigte
| Mitglieder aufgenommen wurden. Damit war die Sowjetunion im
| Sicherheitsrat mit einem Vetorecht und in der Generalversammlung mit
| drei Stimmen vertreten.
`----

So streift der NZZ-Artikel die Grenzen der Albernheit, je nach Geschmack
mag man auch sagen, er überschreitet sie.

Niemand erwartet von der NZZ einen Putin-freundlichen Text. Aber man
darf zumindest eine politisch intelligente Kritik erwarten: Was hat die
UdSSR aus dem Sieg, der jetzt gefeiert wird, gemacht? Putins Artikel ist
eigenartig anachronistisch: 2019 war das Jahr der Wiederholung des
Kriegsbeginns, vor einem Jahr hätte dieser Text gepasst. Dieses Jahr
wird das Ende des Krieges begangen, welche Lehren sind aus diesem Ende
und dem, was man daraus gemacht hat, zu ziehen? Nicht nur auf weltweiter
UNO-Ebene, sondern auch in Europa.



"Russia vs. NATO: Welcome to the Fourth Battle of the Atlantic - The
Russian submarine threat is significant."
https://nationalinterest.org/blog/buzz/russia-vs-nato-welcome-fourth-battle-atlantic-163778

,----Google Translate
| James Foggo III, Adm. James Foggo III, verwies einen jüngsten Punkt, an
| dem bis zu zehn russische U-Boote im Atlantik auf Patrouille waren, und
| sagte: „Wir haben die so genannte vierte Schlacht am Atlantik
| betreten," nach einem Bericht im Seapower Magazine.
|
| Foggo erwähnte, dass die zehn russischen U-Boote, die Berichten zufolge
| von norwegischen Streitkräften entdeckt wurden, einen wichtigen Teil
| einer breiteren russischen Kampagne darstellen, um taktische und
| strategische Vorteile in der Arktis zu erlangen. Die Russen fügen einen
| kampffähigen Eisbrecher hinzu und haben S-400-Luftverteidigungen auf
| mehreren wiedereröffneten sowjetischen Militärstützpunkten in der Region
| platziert.
|
| Die russische U-Boot-Bedrohung ist erheblich, da globalfirepower.com
| berichtet, dass das Land zweiundsechzig U-Boote hat, nur etwas weniger
| als die derzeitige US-Flotte.
`----

Diese Aufregung dürfte zur Begleitung des Manövers "Dynamic Mongoose"
gehören, in dem Nato-Marinen üben, russische U-Boote im Atlantik zu
bekämpfen, die US-Heeres-Transporte nach Europa unmöglich machen
könnten.



SPD-Zustimmung zu bewaffneten Drohnen
https://augengeradeaus.net/2020/07/dokumentation-kriterien-der-spd-fuer-entscheidung-ueber-drohnen-bewaffnung/
http://www.imi-online.de/2020/07/01/spd-bundeswehr-drohnenbewaffnung/


Zu Libyen
https://www.deutschlandfunk.de/libyen-roettgen-befuerwortet-bundeswehr-einsatz-in.1939.de.html?drn:news_id=1147408
https://www.jungewelt.de/artikel/381452.kanonenbootpolitik-ziel%C2%B8bungen-vor-tripolis.html
https://deutsch.rt.com/inland/104128-nach-libyen-konferenz-flop-roettgen/


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https://friedenslage.blogspot.com/