Donnerstag, 22. September 2022

Friedenslage am 22.09.2022 (13:56:46)

Die gestrige Rede von Putin
http://kremlin.ru/events/president/news/69390
https://www.tagesspiegel.de/politik/dies-ist-kein-bluff-das-sagte-putin-in-seiner-rede-an-die-russische-bevolkerung-8667736.htm


Dazu ein lesenswerter Kommentar:
https://www.jungewelt.de/artikel/435181.auf-crashkurs.html

Es war wohl ein Drei-Tage-Krieg geplant: Mit kleiner Truppe schnell in
Kiew die Regierung auswechseln und gleichzeitig mit ein paar Vorstößen
die Verbindung der Krim mit dem Donbass herstellen. Hat auf Anhieb nur
halb geklappt, die Gebiete zwischen der Krim und dem Donbass wurden
besetzt, aber vor Kiew scheiterte der Krieg. Dann völliger Dreh:
Übergang in eine langsame Eroberung des vollständigen Gebiete von
Luhansk und Donezk, bei Luhansk hat es geklappt, westlich von Donezk
nicht. In der Zwischenzeit Lieferungen schwerer Waffen in die
Ukraine. Merkwürdigerweise hat Russland die Eisenbahnen in der Ukraine
so intakt gelassen, dass die Transporte stattfinden konnten. Vielleicht
war das die Fortsetzung des Versuchs, den Krieg auf das Militär zu
beschränken und das zivile Leben so wenig wie möglich zu
beeinträchtigen.

Vermutlich kann man sagen, dass die Gebiete, die Russland jetzt aufgeben
musste, eh nicht zu seinem Kerninteresse gehörten. Nichtsdestotrotz
handelt es sich um eine große militärische Niederlage. Der angestrebte
Durchbruch beim Donbass im Raum Donezk wird nun schwieriger, wenn er
überhaupt noch möglich sein sollte[1].

Dieser für Russland sehr schlechte Verlauf des Kriegs hat auf westlicher
Seite mehrere Entwicklungen hervorgerufen / verstärkt:

( 1) Hieß es noch vor wenigen Wochen, die Lieferung schwerer Waffen sei
Voraussetzung dafür, dass die Ukraine in Verhandlungen mit Moskau nicht
untergehen würde / bestehen könne, ist von Verhandlungen nun gar nicht
mehr die Rede, höchstens von Kapitulationsverhandlungen. Russland soll
bedingungslos kapitulieren. Die Kapitulationsbedingungen hat Zelenskiy
auch gleich der Weltöffentlichkeit mitgeteilt:
https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-09/wolodymyr-selenskyj-un-vollversammlung-bedingungen-frieden,
- ein Tribunal gegen Russland (wohl nach Art der Nürnberger Prozesse),
- Einzug des gesamten (Auslands-?)Vermögen Russlands,
- keine Neutralität der Ukraine.

( 2) Es werden Stimmen hörbar, die sogar die Auflösung Russlands
fordern. https://friedenslage.blogspot.com/2022/07/friedenslage-am-11072022-154815.html
Brzeziński, der frühere US-Präsidentenberater, schlug einst die Teilung
Russlands in drei Teile vor: Den Teil westlich des Urals soll die EU
bekommen, der Teil ganz im Osten, das Gebiet am Pazifik, geht an China -
damals hatte man noch ein gutes Verhältnis zu dem Land - und der Teil in
der Mitte bleibt sich selbst überlassen. (Im Unterschied zu den
westeuropäischen Mächten hat Russland sein Kolonialreich im
territorialen Anschluss an das Zentrum gewonnen, wenn Russland sich eine
Föderation nennt, dann reflektiert es diesen Unterschied im Land: Russen
und andere, „russisch" und „russländisch" sind verschiedene Dinge.)

Wenn Putin in dieser Rede anklingen lässt, dass Russland um seine
staatliche Existenz kämpft, ist das nicht falsch. Was das gefährlich
macht: In der russischen Militärdoktrin ist die Gefährdung der Existenz
des Staates (auch, wenn nur konventionelle Waffen eingesetzt werden),
eine der beiden Gründen, bei denen Atomwaffen eingesetzt werden
können. (Der andere ist der Ersteinsatz von Atomwaffen durch feindliche
Staaten.)

Die angekündigten Referenden in den Gebieten Luhansk, Donezk, Cherson und
Saporischja kann man als „Rückzugsgefechte" verstehen. So wie die
Übernahme der Krim 2014 auch mit einem Referendum bedeutete, dass
Russland sich damit abfand, in der Ukraine selbst an Einfluss zu
verlieren, würde ein Anschluss dieser Gebiete an Russland bedeuten, dass
Russland weiter gehende Kriegsziele in der Ukraine aufgibt, die Ukraine
vielmehr vollständig dem Westen überlässt. Es wäre die Teilung der
Ukraine von 2013 in einen Westteil, der am Tropf der Nato und der EU
hängt, und einen Ostteil, den Russland sich einverleibt. Angenommen,
Russland gelingt, die Front zu stabilisieren und diese Gebiete zu
behalten, hieße es dennoch, den anderen Teil der Ukraine der Nato als
Aufmarschgebiet zu überlassen.

Gemessen an dem Ziel der russischen Vertragsentwürfe vom Dezember, die
Nato sich so fern wie möglich zu halten, wäre selbst dieser Erfolg eine
Niederlage. Weil kaum ein Staat auf der Welt diesen Anschluss
anerkennen wir, belastet Russland seine außenpolitischen Möglichkeiten
über Jahrzehnte. Ein anerkannter Frieden wird auf dieser Grundlage nicht
möglich sein.

Putin will die Kriegsfähigkeit Russlands weiter erhöhen. Weil die
Teilmobilmachung keine schnellen Ergebnisse bringen wird, muss nun mit
einem Krieg bis mindestens in den nächsten Sommer gerechnet werden.

Wie auch immer: Der Sieg der ukrainischen Truppen um Charkow hat den
Frieden keinen Schritt näher gebracht. Aber er hat die Zahl der Toten
erhöht und, wenn es so weiter geht, wird es noch schlimmer werden. Und
eine Angliederung dieser Oblaste an Russland wird die Lage nur
verhärten, den Frieden nicht fördern. Denn auf die Reaktion wird eine
weitere Reaktion folgen.




Eine miserable Überschrift
https://www.hintergrund.de/politik/welt/die-eu-ist-weiterhin-buettel-der-usa/
Aber doch ein Text, der Hinweise auf den tiefen Gegensatz zwischen
„Europa" und Russland gibt, zurückgreifend in eine 1000jährige
(Religions-)Geschichte.




Eine Rede aus der speziellen Welt des Bellizismus
https://audionow.de/podcast/3711691f-045b-461e-8362-fedf2bbbff57
Der Einstieg ist wirr.




--
https://friedenslage.blogspot.com/


Fußnote(n)
[1] Unsereins sollte immer bedenken, dass er nur Spekulationen aus
dritter Hand schreibt.