Donnerstag, 24. Februar 2022

Friedenslage am 24.02.2022 (15:49:47)

Zu den heutigen Militärschlägen Russlands gegen die Ukraine
https://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/ukraine-konflikt-die-ultimative-antwort

,----
| Was ihn seit 2014 – mal mehr, mal weniger, zuletzt aber heftig –
| zuspitzte: Russland durfte nicht teilhaben an der nach 1990 errichteten
| Sicherheitsordnung. Nun errichtet es eine eigene, seinen Regeln
| gehorchend, zu denen der Einsatz militärischer Gewalt gehört, um sich
| Geltung zu verschaffen. Machtentfaltung steht über dem Völkerrecht. Auch
| das ist fast so etwas wie ein Gesetz der Geschichte, dass Länder, die um
| ihre strategischen Kerninteressen fürchten, zu härtesten Maßnahmen
| greifen können.
|
| Alle sonstigen Optionen, vor allem die diplomatischen, werden in Moskau
| inzwischen offenbar als sinnlos und unergiebig betrachtet. Man muss der
| Regierung Putin zugestehen, dass sie mit ihren den USA und der NATO im
| Dezember zugesandten Vertragsentwürfen über gegenseitige (!)
| Sicherheitsgarantien den Versuch der politischen Entspannung
| unternahm. Und man sollte sich erinnern, dass sie die ihr zugegangenen
| Antworten als unzureichend und ungeeignet eingestuft hat, um in
| substantielle Verhandlungen einzutreten. Wenn die Bundesregierung in
| Berlin auch ständig beteuert hat, man wolle eine diplomatische Lösung,
| hat sie doch nichts dafür getan, dass es die geben konnte. Vielmehr
| wurde in den entscheidenden Fragen – der NATO-Osterweiterung und der
| Verlagerung von militärischer Infrastruktur in osteuropäische
| NATO-Länder – gemauert und auf dem Status quo beharrt.
`----

Vorab, weil in unserer - s. Kriege gegen Jugoslawien, den Irak und
Libyen - so rechtstreuen Welt dieses Mal immer erst ein Bekenntnis zum
Völkerrecht verlangt wird: Hiermit

,----UN-Charta
| Artikel 51
|
| Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen
| ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht
| zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der
| Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen
| Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein
| Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem
| Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen
| auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die
| Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des
| Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.
`----

können die Maßnahmen Russlands nicht begründet werden. Weder hat die
Ukraine Russland militärisch angegriffen noch sind die von Russland seit
ein paar Tagen anerkannten „Volkrepubliken" Mitglieder der Uno. Diese
Militäreinsätze - ob es ein richtiger Krieg ist, werden die nächsten
Tage zeigen - setzen die vom Westen im Jugoslawien-Krieg von 1999
begonnene Beschädigung des Völkerrechts fort. Schon deshalb sind sie
schlecht.

Allerdings: Zum Verständnis der Entwicklung der letzten Wochen, müssen
auch andere Sichtweisen als die rechtlichen her. Zu den Forderungen
Russlands gehört es, dass Kiew das Abkommen Minsk2 aktiv mit durchführt.

,----
| 4b. Es ist unverzüglich, innerhalb von 30 Tagen nach der Unterzeichnung
| dieses Dokuments, von der Obersten Rada der Ukraine ein Beschluss
| darüber zu verabschieden, bei dem das Territorium bezeichnet wird, auf
| das sich die besonderen Regelungen in Entsprechung mit dem ukrainischen
| Gesetz „Über die zeitweilige Ordnung der lokalen Selbstverwaltung in
| einzelnen Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk" beziehen, [und das]
| auf Grundlage der Linie, die im Minsker Memorandum vom 19. September
| 2014 definiert ist.
|
| 11. Durchführung einer Verfassungsreform in der Ukraine und Inkrafttreten
| einer neuen Verfassung bis Ende 2015. [Diese Verfassung muss] als
| Schlüsselelement eine Dezentralisierung (unter Berücksichtigung der
| Besonderheiten einzelner Gebiete der Oblaste Donezk und Lugansk)
| aufweisen, die mit den Vertretern dieser Gebiete abgestimmt ist, ebenso
| die Verabschiedung eines ständigen Gesetzes über den besonderen Status
| einzelner Gebiete der Oblaste Donezk und Lugansk in Entsprechung mit
| Maßnahmen, die in den Anmerkungen aufgeführt sind¹, bis zum Ende des
| Jahres 2015.
`----

Es wird darauf verwiesen, dass die Reihenfolgen der nach dem Abkommen
durchzuführenden Maßnahmen nicht klar geregelt ist. Aber das ändert
nichts daran, dass die ukrainische Seite eine Verfassungsreform 2015
zwar in Angriff genommen, aber nicht durchgeführt hat. Und sie hat sich
geweigert, Angehörige aus den den Oblasten Donezk und Lugansk an den
Gesprächen über eine neue Verfassung zu beteiligen. Denn damit würde sie
anerkennen, dass der Krieg ein Bürgerkrieg ist: Die illegale Regierung
von 2014 und deren Nachfolger gegen den Osten des Landes, der sich
dieser Regierung nicht nur nicht anschließen will, sondern Verhandlungen
auf Augenhöhe verlangt, eigentlich schon ein Zugeständnis dieser
Seite. Der Forderung aus Kiew, Russland möge sich als Partei an den
Gesprächen beteiligen, ist wiederum für Moskau unannehmenbar, denn dann
würde Russland sich selbst als Besatzungsmacht einordnen.

Dabei verhält sich Kiew so, als hätte es diese Gebiete schon längst
aufgegeben. Es blockiert sie wirtschaftlich:

,----https://www.swp-berlin.org/en/publication/donbas-konflikt-schwieriger-friedensprozess
| Auch die wirtschaftliche Blockade der nicht von der ukrainischen
| Regierung kontrollierten Gebiete (im Folgenden als NRKG bezeichnet) ab
| Frühjahr 2017 war ein wichtiger Einschnitt im Verlauf des Konflikts. Sie
| ging zunächst von rechtsgerichteten Veteranen und Aktivisten in der
| Ukraine aus, die gegen den »Bluthandel« mit den NRKG protestierten, weil
| er die separatistischen Regime am Leben erhalte. Die Regierung in Kyiw
| argumentierte zunächst gegen eine Isolation der Gebiete und verwies auf
| wirtschaftliche wie humanitäre Konsequenzen. Sie konnte dem Druck jedoch
| nicht standhalten. Am 15. März 2017 unterband sie offiziell den
| wirtschaftlichen Austausch mit den NRKG. Anfang des Monats hatten die
| Machthabenden in Donezk und Luhansk 40 Unternehmen, die bis dahin noch
| in den von Kyiw kontrollierten Gebieten (RKG) registriert waren, unter
| »zeitweise externe Verwaltung« gestellt, was de facto einer Enteignung
| gleichkam.17 Beide Seiten waren in der Folge gezwungen, sich den neuen
| Realitäten anzu­passen. Für die Ukraine waren die wirtschaftlichen
| Auswirkungen weniger hart als zunächst befürchtet.18 In den NRKG jedoch
| brach die industrielle Produktion zusammen, was schwerwiegende Folgen
| für die ökonomische Lage hatte. Abgesehen von Schmuggel und
| Schwarzhandel sind die RKG und die NRKG heute wirtschaftlich vollständig
| voneinander isoliert.
`----

Merkwürdigerweise wird diese Blockade bei der Kritik der russischen
Passport-Politik vergessen.
https://www.swp-berlin.org/publikation/russlands-passportisierung-des-donbas

Die letzten Verhandlungen im Normandie-Format
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/verhandlungen-zu-ostukraine-im-normandie-format-stocken-17798908.html
haben in dieser Frage keine Annäherung gebracht.

Es schien zunächst so, als ob Bundeskanzler Scholz in der Frage der
Durchführung des Minsker Abkommens einen Durchbruch erzielt hätte.

,----https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/newsletter-und-abos/newsletter-verbraucherschutz/kanzler-scholz-ukraine-2004958
| Bundeskanzler Scholz und Präsident Selensky waren sich einig, dass das
| Normandie-Format neben den Gesprächen zwischen den USA und Russland, im
| NATO-Russland Rat sowie der OSZE einen wichtigen Beitrag im
| Dialogprozess für die Gespräche mit Russland darstellt. Bundeskanzler
| Scholz sagte: „Es ist ohne Frage ein schwieriger Prozess, aber ich bin
| überzeugt: Diese Mühe lohnt sich." Er begrüßte in diesem Zusammenhang
| die Bereitschaft der Ukraine, nun zeitnah entsprechende Gesetzesentwürfe
| zum Sonderstatus, zur Verfassungsänderung und zum Wahlrecht vorzulegen,
| um die Gespräche im Rahmen der Minsker Vereinbarungen voranbringen und
| konkretisieren zu können.
`----14.02.2022

Allerdings hatte Scholz nur ein Versprechen zu einem Entwurf im
Gepäck. Vom Beginn einer gesetzgeberischen Behandlung ist nichts
bekannt. Das ist insofern von Bedeutung, als Poroshenko, Selenskijs
Amtsvorgänger, einen ähnlichen Entwurf zwar schon 2015 ins Verfahren
gebracht hatte, damit jedoch im Parlament gescheitert war. Von einer
Beteiligung von Repräsentanten aus den „Volksrepubliken" war wieder
nicht die Rede. Das war sehr wenig, zu wenig, wie sich jetzt
herausstellte.

Es wäre interessant zu erfahren, was Scholz und Putin miteinander
gesprochen haben: Was hat Putin zu diesem Angebot gesagt? Hat er gesagt,
wie RU handeln wird, wenn es bei diesem Angebot bleibt? Hat Scholz nach
dem Gespräch also eine Ahnung davon haben können, was passieren kann?

Es scheint so, als ob Putin danach noch die Münchner
Sicherheitskonferenz abgewartet hat. Von dort kamen keine Signale, stattdessen
redete man sich mit Plänen über Sanktionen gegenseitig Mut zu.

Die Anerkennung der „Volksrepubliken" durch Moskau ist völkerrechtlich
ohne Belang. Was zählt, ist eine Anerkennung durch die UNO und ihre
wichtigen Staaten. Was nicht in dieser Weise rechtlich anerkannt ist,
ist rechtlich nicht vorhanden.

Was aber nichts an der politischen Bedeutung dieser Anerkennungen
ändert. Sie schafft ein militärisches Bündnis
https://www.berliner-zeitung.de/welt-nationen/donbass-region-ratifiziert-abkommen-mit-russland-li.213226
Jeder Angriff auf eines dieser Territorium war politisch nun ein Angriff
auf Russland, eine entsprechende Reaktion war und ist zu erwarten.
Vielleicht hat Putin gehofft, dass Kiew sich nun zurück hält. Das ist,
nach allem, was man mitbekommt - ohne dass man sicher sein kann, Fakes
sind allüberall - nicht geschehen.
https://www.osce.org/files/2022-02-23%20Daily%20Report_ENG.pdf?itok=47241

Dieses Verhalten der Kiewer Regierung wäre unverständlich, hat sie doch
auf der Münchener Sicherheitskonferenz klipp und klar mitgeteilt
bekommen, dass der Westen zwar bereit ist, bis zum letzten ukrainischen
Soldaten kämpfen zu lassen, sich selbst auf Materiallieferungen zu
beschränken. Kiew ist im Zweifel noch schlechter dran als Kabul.

Wenn diese Steigerung der Aktivität in der Region von der Kiewer-Seite
her rührt - worüber der OSZE-Report keine Auskunft gibt -, stand Putin
vor der Alternative:

( 1) Russland wird Teil eines lang andauernden Kleinkriegs in der
Ostukraine, dann hat sich die Lage für Russland verschlechtert, ohne
dass sie sich für die „Volkrepubliken" verbessert hätte. Oder

( 2) Russland versucht, mit weit reichenden Militärschlägen die
ukrainische Armee in einen Zustand der Handlungsunfähigkeit zu
versetzen, um auf diese Weise Ruhe an der ostukrainischen Front zu
erzwingen. Nachteil: Eine Eskalation der Sanktionen aus dem Westen in
bislang unbekannten Ausmaß, das Ende aller Gespräche mindestens bis zum
Ende der Präsidentschaft Putins. Damit das Aus für jede andere Regelung
in der nächsten und mittleren Zukunft.

Vielleicht gibt es auch noch ein (3): Die Ausweitung der Militärschläge
zu einem richtigen Krieg.

Wie auch immer: Ein Befreiungsschlag dürfte Putin nicht gelungen
sein. Mir scheint, er überschätzt seine langfristigen strategischen
Möglichkeiten.



Letztlich richtig
https://www.imi-online.de/2022/02/23/ukraine-krise-friedenspolitik-statt-eskalation/
Aber für eine Kampagne womöglich um zu viele Ecken gedacht.

,----
| Die Anerkennung von Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten durch
| Russland und die Entsendung von Militär ist ein Bruch des
| Minsk-II-Abkommens, das durch UN-Sicherheitsratsbeschluss
| Völkerrechtstatus hat. Dies dreht die Eskalationsschraube weiter nach
| oben, erhöht die Spannungen und verschärft das Kriegsrisiko.
|
| Diese Entscheidungen sind die Reaktion Russlands darauf, dass die
| Ukraine die Umsetzung von Minsk II mit Duldung des Westens seit acht
| Jahren blockiert und eine Veränderung dieser Situation und der damit
| verbundenen unerträglichen Lage der Menschen in der Ostukraine nicht
| erreichbar erschien. Wir fordern sowohl von der Ukraine, als auch von
| Russland und dem Westen zu Minsk II zurückzukehren und auf dieser Basis
| über eine politische Lösung der Krise zu verhandeln.
|
| Der Schritt Moskaus war die Reaktion darauf, dass die USA und die NATO
| nicht bereit waren, ernsthaft auf Verhandlungen über die legitimen
| Sicherheitsinteressen Moskaus einzugehen, die Moskau im Dezember
| vorschlug. Die europäischen NATO-Verbündeten haben sich der US-Politik
| angeschlossen, nicht nur mit Worten, wie zuletzt auf der Münchener
| Sicherheitskonferenz, sondern im Falle Großbritanniens, Frankreichs,
| Polens u.a. durch Waffenlieferungen oder die Verlegung von
| Militärpersonal.
|
| Die erneute Verschärfung der Krise unterstreicht, wie dringend
| Deeskalation und Diplomatie sind. Sie zeigt, wohin es führt, wenn das
| Prinzip der ungeteilten, gemeinsamen Sicherheit ignoriert wird und
| stattdessen einseitig vollendete Tatsachen geschaffen werden.
`----




Artikel von gestern, schon außerhalb der Zeit, aber dennoch wert,
gelesen zu werden:
https://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/ukraine-konflikt-gewagter-schachzug
https://www.rationalgalerie.de/home/anerkennung-ukrainischer-republiken
https://taz.de/Politologe-zu-Putins-Eskalation/!5837350/

--
https://friedenslage.blogspot.com/