Dienstag, 1. Februar 2022

Friedenslage am 01.02.2022 (15:54:05)

Über die Mitmacher aus der Dienstklasse.

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Über die Dummheit

Dietrich Bonhoeffer (1906-1945)

Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit.

Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen, es läßt
sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der
Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen
zurückläßt.

Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch
Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht;
Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach
nicht geglaubt zu werden - in solchen Fällen wird der Dumme sogar
kritisch - und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als
nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden.

Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst
zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum
Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten
als gegenüber dem Bösen.

Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu
überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich.

Um zu wissen, wie wir der Dummheit beikommen können, müssen wir ihr
Wesen zu verstehen suchen. Soviel ist sicher, daß sie nicht wesentlich
ein intellektueller, sondern ein menschlicher Defekt ist. Es gibt
intellektuell außerordentlich bewegliche Menschen, die dumm sind, und
intellektuell sehr Schwerfällige, die alles andere als dumm sind. Diese
Entdeckung machen wir zu unserer Überraschung anläßlich bestimmter
Situationen.

Dabei gewinnt man weniger den Eindruck, daß die Dummheit ein angeborener
Defekt ist, als daß unter bestimmten Umständen die Menschen dumm gemacht
werden, bzw. sich dumm machen lassen. Wir beobachten weiterhin, daß
abgeschlossen und einsam lebende Menschen diesen Defekt seltener zeigen
als zur Gesellung neigende oder verurteilte Menschen und
Menschengruppen.

So scheint die Dummheit vielleicht weniger ein psychologisches als ein
soziologisches Problem zu sein. Sie ist eine besondere Form der
Einwirkung geschichtlicher Umstände auf den Menschen, eine
psychologische Begleiterscheinung bestimmter äußerer Verhältnisse. Bei
genauerem Zusehen zeigt sich, daß jede starke äußere Machtentfaltung,
sei sie politischer oder religiöser Art, einen großen Teil der Menschen
mit Dummheit schlägt. Ja, es hat den Anschein, als sei das geradezu ein
soziologisch- psychologisches Gesetz.

Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen. Der Vorgang ist
dabei nicht der, daß bestimmte - also etwa intellektuelle - Anlagen des
Menschen plötzlich verkümmern oder ausfallen, sondern daß unter dem
überwältigenden Eindruck der Machtentfaltung dem Menschen seine innere
Selbständigkeit geraubt wird und daß dieser nun - mehr oder weniger
unbewußt - darauf verzichtet, zu den sich ergebenden Lebenslagen ein
eigenes Verhalten zu finden.

Daß der Dumme oft bockig ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß er
nicht selbständig ist. Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm, daß
man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über
ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat. Er ist in
einem Banne, er ist verblendet, er ist in seinem eigenen Wesen
mißbraucht, mißhandelt.

So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem
Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Hier
liegt die Gefahr eines diabolischen Mißbrauchs. Dadurch werden Menschen
für immer zugrunde gerichtet werden können. Aber es ist gerade hier auch
ganz deutlich, daß nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt
der Befreiung die Dummheit überwinden könnte. Dabei wird man sich damit
abfinden müssen, daß eine echte innere Befreiung in den allermeisten
Fällen erst möglich wird, nachdem die äußere Befreiung vorangegangen
ist; bis dahin werden wir auf alle Versuche, den Dummen zu überzeugen,
verzichten müssen.

In dieser Sachlage wird es übrigens auch begründet sein, daß wir uns
unter solchen Umständen vergeblich darum bemühen, zu wissen, was »das
Volk« eigentlich denkt, und warum diese Frage für den verantwortlich
Denkenden und Handelnden zugleich so überflüssig ist - immer nur unter
den gegebenen Umständen.

Das Wort der Bibel, daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei
(Psalm 111, 10), sagt, daß die innere Befreiung des Menschen zum
verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der
Dummheit ist.

Übrigens haben diese Gedanken über die Dummheit doch dies Tröstliche für
sich, daß sie ganz und gar nicht zulassen, die Mehrzahl der Menschen
unter allen Umständen für dumm zu halten. Es wird wirklich darauf
ankommen, ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren
Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen.

Quelle: Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung. Briefe und
Aufzeichnungen aus der Haft, hrsg. von E. Bethge. TB
Siebenstern. Gütersloh 1985. S.



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