Dienstag, 2. Januar 2024

Friedenslage am 02.01.2024 (17:54:36)

Allmählich spricht sich selbst in Deutschland herum, dass die Ukraine
ihre Ziele 2023 nicht erreicht hat, trotz allen Schulterklopfens
deutscher „Experten".

Aber man weiß noch nicht, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Zwei
Möglichkeiten gibt es für westliche Politik und westliche Strategen:


( 1) Die einfachste Möglichkeit ist: Weitermachen wie bisher, nur
stärker. Allerdings mit einer Pause, in der zum einen die ukrainische
Armee und Front wieder stabilisiert wird, zum anderen für einen neuen
Versuch von Gegenoffensive für 2025 gerüstet wird. Wie diese
Neuausstattung der ukrainische Armee gelingen soll, ist noch nicht
klar. Die einen verlangen die Umstellung der europäischen Wirtschaft auf
Kriegsbedingungen: Kriegswirtschaft in Europa wie nach 1914 oder nach
1939. Wobei noch gar nicht klar ist, wie das geschehen soll. Ein
schlichtes Mehr an Kriegswaffen dürfte nicht ausreichen, es müssten wohl
auch die Steuerungsmechanismen von Politik und Wirtschaft verändert
werden. Es könnte wieder um einen Kriegskeynesianismus gehen, wie ihn -
in unterschiedlicher politischer Gestalt - sowohl das NaziReich als auch
die USA für den WW2 organisierten. Dazu würde auch eine Veränderung der
Formen der politischen Auseinandersetzungen und der Breite der erlaubten
Positionen gehören. Noch steht dafür keine Partei bereit, die AfD macht
in diesem Krieg auf neutralistisch, aber das kann sich genauso schnell
ändern wie die Grünen der neuen Zeiten. - Die Aussichten dieser
Strategie sind so gut nicht. Der Ukraine fehlen die Soldaten, sie laufen
ja 100.000fach weg, nach Deutschland und in andere europäische
Länder. Und Russland bereitet sich nach eigenen Ankündigungen auf den
auf einen lang andauernden Krieg vor, während die USA sich zurückziehen
wollen. - Es wäre also ein Weg der Ungewissheiten, aus Gedankenfaulheit
und Mutlosigkeit bestritten.

( 2) Der Weg der Verhandlungen ist aus vielen Gründen kompliziert. Dass
man nicht so recht weiß, was Russland will, ist dabei noch nicht einmal
der schwierigste. Viel schwieriger dürfte es sein, diese Wende
öffentlich verständlich und akzeptabel zu machen. Es war doch klar, dass
der Krieg erst dann zu Ende ist, wenn die Ukraine ihre Grenzen von 2013
wieder erreicht hat: Mitsamt der Krim und dem Donbas. Ein Ziel, das
selbstverständlich erreichbar war/ist. Weshalb es gerechtfertigt war,
100.000e Menschen in den Tod zu schicken, Milliarden Dollar und
Milliarden Euro für die Ausstattung der Ukraine aufzuwenden und weshalb
es auch hinzunehmen war, dass die Zerstörungen in der Ukraine
unermesslich groß sein werden. Soll das alles umsonst gewesen sein? Wie
sagt man es den Ukrainern, dass ihre Toten nur eine Fehlkalkulation
waren? Wie sollen die diversen publizistischen und politischen Akteure
diese Wende plausibel machen können? Wie wollen diese politischen Kräfte
ihre eigene soziale Position weiterhin rechtfertigen? Diese Wende müsste
doch zu neuen Politikern, neuen Zeitungsschreibern und neuen „Experten"
führen, die alten würden zwar nicht arbeitslos werden, aber doch aus der
Öffentlichkeit verschwinden. - Wenn schon der Weg geändert werden muss,
so muss die Begründung doch dieselbe sein: Die Ukraine wird gegen
Russland erfolgreich verteidigt, sie hat gewonnen, weil sie nicht
vollständig verloren hat, wir sichern das in einem Vertrag mit Russland,
da packen wir so viel rein, dass Russland sich nicht mehr rühren kann. -
Kann sein, dass dieser Umbau der öffentlichen Meinung auch mit dem
gegenwärtigen belasteten Personal gelingt, kann sein, dass dafür einige
Anpassungen erforderlich sind.



„Masala über Kalkül von Trump – „Im Grunde wäre das Erpressung""
https://www.abendblatt.de/politik/article240905252/Masala-Trump-koennte-Europa-den-nuklearen-Schutz-entziehen.html
Der wohl unsäglichste „Experte" zu einer Wende in der Ukraine, nach
langem phantastievollen Gequassel über China und Taiwan und alles
mögliche, zu dem er sich was ergrübelt hat:

,----
| Was ist Ihre größte Sorge mit Blick auf 2024?
|
| Meine größte Sorge ist, dass es uns nicht gelingt, eine dauerhafte
| Unterstützung der Ukraine zu garantieren. In diesem Fall würde sich der
| Aggressor Russland durchsetzen. Ein russischer Sieg würde Europas
| Sicherheit nachhaltig destabilisieren – außenpolitisch wie
| innenpolitisch.
|
| Warum auch innenpolitisch?
|
| Weil ein russischer Sieg all denjenigen Kräften in Europa und
| Deutschland Auftrieb verleihen würde, die von vornherein gegen eine
| Unterstützung der Ukraine waren. Die können sich dann mit breiter Brust
| hinstellen und sagen: Seht her, wir haben doch immer gewusst, dass das
| alles Quatsch war.
`----

Womit er ja recht haben könnte: Er und all seine Mit-„Experten" wären so
grundlegend widerlegt, wenn es irgendeine Art von Einigung in der
nächsten Zeit auf der Grundlage des jetzigen Standes an der Front gäbe,
dass sie sich kaum noch öffentlich blicken lassen könnten.



Hier einige Überlegungen von Marcel Schütz, Professor für Organisation
an der „Northern Business School Hamburg (NBS)", einer FH in Hamburg,
zu einer Wende in der Ukraine-Politik
https://twitter.com/schuetz_marcel/status/1741559146766385597

,----
| Das nahende Jahresende erzwingt bei vielen unheimliche Gedanken und
| mulmige Gefühle im Blick auf die Lage der Ukraine im anbrechenden
| dritten Kriegsjahr. Vier Thesen oder Blickwinkel zum Krieg, aus einer
| dezidiert nicht lagerorientierten Perspektive:
|
| 1) Russland wird unter keinen realistisch annehmbaren Bedingungen aus
| der Ukraine tatsächlich weichen, abziehen, verschwinden. Über räumliche
| Anteile und Prozente kann man lange spekulieren, ein völliger Abzug ist
| unter der langlebigen Führung des Kremls abwegig. Eine solche
| Zielsetzung war von Anbeginn (so effektiv wie riskant) eine
| selbstsuggestive, sinnstiftende und symbolische, der man gar nicht
| ausweichen konnte, die zu einem unbedingten Beschwören wurde, je weiter
| es mit dem Krieg ging, und von dem man annehmen mochte, dies könne sich
| irgendwie realisieren, wenn man es nur energisch beteuerte. Fast ließe
| sich sagen: ein Kommunikationsgefängnis. Der Westen spricht unentwegt
| mit sich selbst über Ziele, die er nicht durchsetzen kann.
`----

Der ganze Text ist im Zusammenhang mit einer zukünftigen politischen
Wende des Westens in diesem Krieg von Interesse, alle vier Thesen, es
lohnt sich auch, unter https://twitter.com/schuetz_marcel weiter zu
stöbern.

„Selenskyj – Politstar im Sinkflug? --Alexander Neu"
https://www.nachdenkseiten.de/?p=108955
Sehr ausführlicher Artikel zu den Problemen einer Wende in der
westlichen Ukraine-Politik: Welche Anzeichen gibt es? Welche
Schwierigkeiten treten auf?


„«Die Ukraine ist in einer Sackgasse» - Interview mit General
a. D. Harald Kujat"
https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-19-vom-22-dezember-2023.html#article_1615

,----
| Zeitgeschehen im Fokus Herr Kujat, westliche Politiker und Medien
| propagierten lange, die grosse ukrainische Offensive werde den Sieg über
| Russland einleiten. Jetzt kam alles ganz anders. Man nimmt nun offenbar
| zur Kenntnis, dass die Offensive gescheitert ist. Wie gehen die Medien
| damit um?
|
| General a. D. Harald Kujat Diese Erkenntnis setzt sich nur langsam
| durch. Die Bundesregierung ist offenbar entschlossen, ihre «As long as
| it takes»-Strategie der militärischen und finanziellen Unterstützung
| fortzusetzen. Berichte amerikanischer Medien über die Gründe des
| Scheiterns der Offensive und der möglichen Konsequenzen werden nur sehr
| sporadisch wiedergegeben.
`----
Langer, gründlicher, lesenswerter Text.


Auch lohnend:
„Reisners Blick auf die Front - "Bei Russen herrscht Feierstimmung in
sozialen Netzwerken""
https://www.n-tv.de/politik/Bei-Russen-herrscht-Feierstimmung-in-sozialen-Netzwerken-article24632116.html

„Es fehlt an Ersatzteilen - Nur noch wenige kampfbereite deutsche
Leopard-Panzer in der Ukraine"
https://www.n-tv.de/politik/Nur-noch-wenige-kampfbereite-deutsche-Leopard-Panzer-in-der-Ukraine-article24632715.html


-- https://friedenslage.blogspot.com/