Dienstag, 6. August 2024

Friedenslage am 06.08.2024 (19:01:58)

„Jonas Schneider, Torben Arnold -- Gewichtig und richtig: weitreichende
US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland"
https://www.swp-berlin.org/publikation/gewichtig-und-richtig-weitreichende-us-mittelstreckenwaffen-in-deutschland

SWP-Aktuell 2024/A 36, 18.07.2024, 4 Seiten
doi:10.18449/2024A36


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| Die USA und Deutschland haben auf dem Nato-Gipfel im Juli 2024 verkündet, dass
| 2026 in Deutschland bodengestützte amerikanische Mittelstreckenwaffen
| stationiert werden, die das russische Kernland erreichen können. Das ist ein
| bedeutender Schritt, denn die Nato erhält damit neue Fähigkeiten in einem

Neue Fähigkeiten für die Nato

| Bereich, der durch Russlands Raketenkrieg gegen die Ukraine wichtiger geworden

Wegen des russischen Kriegs in der Ukraine

| ist. Moskau droht mit militärischen Gegenmaßnahmen. Aber die hiermit verknüpften
| Risiken für Deutschland sind bei genauer Betrachtung geringer als oft
| vermutet. Die Pläne haben sogar Potential, zu künftigen
| Rüstungskontrollvereinbarungen mit Russland beizutragen.
|
| Russland setzt im Krieg gegen die Ukraine in großem Umfang ballistische Raketen
| und Marschflugkörper ein. Wichtiger als diese militärische Fähigkeit ist jedoch,

Also doch nicht wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine und der dort
gezeigten Fähigkeiten?

| dass Putin politisch gezeigt hat, auch hohe Kosten und Risiken hinzunehmen, um
| Ziele mit Gewalt zu erreichen. Ein »zu allem bereites« Moskau könnte, so die

Ohne diese Mittelstreckenwaffen wäre ein Krieg für Russland also in jeder
Hinsicht - militärisch, ökonomisch, menschlich, politisch oder wie auch immer -
irgendwie „billiger" oder so was. Und Russland würde jederzeit geneigt sein,
einfach mal so los zu schießen.

Dass Krieg aus einer politischen Entwicklung, einer konkreten Situation
hervorgeht, mit politischer Absicht geführt wird oder auch nicht, kommt in
dieser Einleitung nicht vor. Es kann sich also nur um bestenfalls provisorisches
Gerede handeln: Vergleich von Bewaffnungen jenseits der politischen Analyse, für
die Klärung der politischen Fragen bestenfalls vorläufig brauchbar.


Eine politische Analyse wird stillschweigend vorausgesetzt. Stattdessen wird
eine Analyse nach Art Tischfußball durchgeführt: Beide Parteien müssen dieselben
Möglichkeiten haben, ins gegnerische Tor zu treffen. Dass Parteien eines
Konfliktes Nato-Russland zu asymmetrischen Aufstellungen führt, zu
asymmetrischer Bewaffnung und asymmetrischem Verhalten, sollte bei minimalen
Geografiekenntnissen eigentlich klar sein.


| Sorge vieler, die Entschlossenheit einer eventuell gespaltenen Nato

Wessen Sorge? Wer sind die „vieler"?

| unterschätzen und einen begrenzten Angriff wagen. Um in Putins Risikokalkulation
| einzudringen und diesen Fehlschluss zu verhindern, setzt die Allianz auf

Diese „vielen" waren in ihrer eigenen Risikokalkulation in Sachen Ukraine nun
nicht gerade leistungstüchtig. Sonst hätten sie schon 2013/14 ahnen können, dass
das alles böse enden kann. Sie haben weder in Sachen Minsk2 noch auf die
russischen Forderungen/Vorschläge vom Dez 2021 angemessen reagiert, wenn Frieden
und Kriegsverhinderung ihr Ziel gewesen sein sollte. Oder sie haben den jetzigen
Krieg mit einkalkuliert. - Wie auch immer, anzunehmen, dass solche „viele" in
die russischen Kalkulationen eindringen könnten, liegt nicht eben nahe.

Es kann sich also nur um Annahmen, genauer: um Phantasien, handeln, die den
Vorstellungen von einem russischen Verhalten zugrunde liegen.

Das zeigt auch den Grund für die fehlende politische Analyse, jedenfalls eine
ernst gemeinte, eine ernsthafte: Man müsste ja eingestehen, dass die politischen
Annahmen der Politik der letzten 11 Jahre falsch waren, falsche eigene
Risikokalkulation, damit fiele auch die Möglichkeit wegen, die neuen
Mittelstreckenwaffen mit militärpolitischen Kalkulationen zu begründen.

Anders: Es muss vorsätzlich ein unzulässig dummer Einstieg gewählt werden, damit
das Ergebnis hinterher als schlau erscheinen kann.

| zusätzliche und teils neuartige abstandsfähige Präzisionswaffen, die Ziele tief
| hinter der Front exakt treffen und erstmals seit Jahrzehnten wieder an Land
| stationiert werden.

Präzisionswaffen ohne politische Analyse. Mal sehen.

|
| Für die Zukunft möchten einige europäische Nato-Länder mit dem European
| Long-range Strike Approach (ELSA) ein landgestütztes System entwickeln. Heute
| besitzt die Nato keine solchen Mittelstreckenwaffen, nur luft- und seegestützte
| Varianten.
|
| Laut den deutschen und amerikanischen Plänen werden 2026 drei Typen
| landgestützter US-Mittelstreckenwaffen stationiert. Das ist erstens der
| Marschflugkörper Tomahawk, der vermutlich 2.500 km weit fliegen kann. Dies würde
| von Deutschland aus Russlands westliche Militärbezirke weitgehend
| abdecken. Zweitens kommt die Standard Missile (SM) 6 nach Deutschland, eine
| ballistische Rakete. Die U.S. Army nutzt deren stark verbesserte Variante 1B,
| die eine Reichweite von über 1.600 km haben müsste. Drittens wird die Long-Range
| Hypersonic Weapon (LRHW), Code: Dark Eagle, stationiert. Diese Hyperschallrakete
| kann wohl 3.000 km weit fliegen. Zum Vergleich: Bislang ist das Army Tactical
| Missile System (ATACMS) mit über 300 km die bodengestützte Nato-Waffe mit der
| größten Reichweite.
|
| Bessere Abschreckungsfähigkeit

Erstmal nur: Bessere technische Fähigkeit.

|
| Die drei Systeme werden im Rahmen der 2. Multi-Domain Task Force der U.S. Army
| in Deutschland stationiert. Ihre Kernaufgabe ist, Russlands
| Anti-Access/Area-Denial (A2/AD)-Kapazität mit Hilfe neuer Technologien und
| Konzepte zu überwinden: Moskau hofft, in einem Krieg das Gros der Nato-Kräfte

„Moskau hofft". Ein westlicher Militärpsychologe hat unterm Tisch mitgehört, als
Putin sich mit seinen Generälen unterhielt. -

Dabei wird hier nur von unseren SWP-Spezialisten vom (vorhandenen oder bloß
gedachten?) Potential auf Möglichkeiten geschlossen.

| vom Kampfgebiet an seiner Grenze fernzuhalten, indem es mit Raketen und
| Marschflugkörpern deren Aufmarsch und Versorgung unterbindet oder mit Schlägen
| gegen einzelne Nato-Länder deren Einlenken erzwingt. Allein mit Luft- und

Und nun fehlt sogar der Nachweis dieses Potentials. Man denkt es sich halt. Und
der Leser soll denken, dass schon recht gedacht wurde.

| Raketenabwehr könnte sich die Allianz davor nicht wirksam schützen, weil Europa
| zu groß ist und umfassender Schutz gegen das russische Flugkörperarsenal zu
| teuer wäre. Mit eigenen weitreichenden Mittelstreckenwaffen kann die Nato diesen
| russischen Plan aber auf zwei komplementäre Arten durchkreuzen.

Dass es keinen Schutz gegen Raketenmassen gibt, war in Europa schon immer
so. Übrigens auch in der Gegenrichtung: Die Sowjetunion war auch ohne diesen
Schutz. Und solche gegenseitige Schutzlosigkeit fand man im ABM-Vertrag sogar
gut, denn sie reduzierte die Gefahr eines ersten Schlags. Es waren übrigens die
USA, die den Vertrag über diese gegenseitige Verwundbarkeit 2002 aufkündigten.

|
| Ihre erste Aufgabe ist es, jene russischen Deep-Strike-Fähigkeiten, welche die
| Allianz auf Distanz halten sollen, ins Fadenkreuz zu nehmen (hold at risk) und
| eventuell zu zerstören, bevor sie auf Nato-Gebiet feuern. Verlöre der Kreml

Nehmen wir mal an, dass Russland diese Fähigkeiten über sein ganzes Land
verteilt stationiert hat. Und nehmen wir dazu an, dass nicht jede der neuen
Mittelstreckenwaffen ins Ziel trifft: Deutschland müsste mit solchen
Waffensystemen voll gepflastert werden, eine Rakete an jeder Straßenkreuzung.

Die Formulierung ist bemerkenswert: „ins Fadenkreuz zu nehmen (hold at risk) und
eventuell zu zerstören, bevor sie auf Nato-Gebiet feuern".

Die neuen Waffen sollen alles, was von ferne die Nato beeinträchtigen könnte,
mit der Zerstörung bedroht werden. Aber das ist nicht eigentlich neu.

Neu ist: Die russischen Systeme (mehr als das, was man früher C3I nannte -
Command, Control, Communication, Intelligence - nämlich die schießenden Systeme
mit dabei) müssen zerstört werden, bevor sie eingesetzt werden (können).

Wie kann man sich das vorstellen? Vielleicht so: Ein Krieg beginnt irgendwie, an
der Grenze zu den baltischen Staaten oder zu Polen, Artillerie, Panzer,
Infanterie, Luftwaffe im Sturzkampf-Modus oder ganz von oben. (Natürlich haben
die Russen angefangen, die Nato und ihre Mitglieder haben bekanntlich noch nie
einen Krieg angefangen.)

So ganz genau vorstellen kann man sich das nicht, weil man die politische
Situation, aus der heraus der Krieg ausbrechen könnte, nicht vorwegnehmen kann.

Jedenfalls könnte die Gefahr eintreten, dass die russischen Massenheere die
Nato-Truppen etwa von General Sandrart in Litauen überrennen könnten. Dann muss
schon längst entschieden sein, dass die Nato auch das russische rückwärtige
Gebiet angreifen
kann. (s. https://x.com/QuandtStefan/status/1807481696691867704). Nicht ein
Zentimeter Nato-Gebiet soll auch nur vorläufig aufgegeben werden müssen, denn es
ist teurer, ihn wieder zurück zu holen. - Das allerdings funktioniert nur, wenn
die Nato schon jetzt über einen Präventiv-Angriff nachdenkt und ihn vorbereitet,
um ihn ausführen zu können. Präventiv heißt: Selber anfangen, selbst angreifen.

Militärische Angriffsfähigkeit muss nicht Indiz für politischen Kriegswillen
sein. (Der Fehler der Nato-Agitation aus der Zeit des Kalten Kriegs, von der
konventionellen Übergröße der WP-Truppen im Verhältnis zur Nato auf
Angriffsabsicht zu schließen, muss nicht gegenüber der Nato wiederholt werden.)

Aber immerhin: Diese neuen Systeme in Verbindung mit gegenwärtiger Rhetorik
deuten auf den Willen zur militärischen Angriffsfähigkeit. Politisch kann man
das ohne Weiteres zur „Abschreckung" umdeuten: Man will angreifen können, damit
der andere gar nicht erst auf Angriffsideen kommt.

| diese Systeme, da sie zerstört oder abgezogen wurden, würde es der Nato
| erleichtert, den Angriff zurückzudrängen. Dies soll Russland von vornherein
| abschrecken, Nato-Länder anzugreifen.
|
| Die zweite Aufgabe der Mittelstreckenwaffen besteht darin, wenigstens einige
| zeitkritische Hochwertziele in Russland zerstören zu können. Hierzu zählen
| mobile Kommandozentralen oder Abschussrampen für ballistische Raketen und
| Marschflugkörper. So wird Russland signalisiert, dass die Nato bei einem Angriff
| gegen sich die Option hat, die russische Fähigkeit zur Fortsetzung der
| Kampfhandlungen massiv einzuschränken – was abschrecken soll.

Diese Aufgabe kann, wie schon gezeigt, nicht mehr erfüllt werden, wenn der Krieg
schon begonnen hat. Dann ist die richtige Situation schon vorbei. Sie kann nur
ganz zu Beginn des Kriegs genutzt werden.

Das wissen die Russen natürlich auch. Deshalb dürften sie versuchen, schneller
als schnell zu sein.

| Diese beiden Aufgaben können von den heute verfügbaren luft- und seegestützten
| Nato-Flugkörpern kurzer sowie mittlerer Reichweite nicht optimal erfüllt
| werden. Marschflugkörper, die von Flugzeugen abgefeuert werden, müssen zuerst in
| die Luft gebracht werden, wodurch wertvolle Zeit verlorengeht. Das schränkt ihre
| Wirksamkeit gegen mobile Hochwertziele ein. Verfügbare seegestützte
| Marschflugkörper haben entweder zu kurze Reichweiten oder sind wegen ihrer eher
| geringen Geschwindigkeit zu lange unterwegs für zeitkritische Ziele im
| russischen Kernland. Die heutigen landgestützten Systeme, etwa ATACMS, sind zwar
| reaktionsschnell: Sie müssen nicht erst in die Luft gebracht werden und fliegen
| viel schneller als Marschflugkörper. Aber ihre Reichweite ist zu gering, um
| Ziele tief im Landesinneren Russlands zu treffen.
|
| Die drei bodengestützten Mittelstreckenwaffen bieten einen Mehrwert für die
| konventionelle Abschreckung gegenüber Russland, denn sie erfüllen die zwei
| Aufgaben besser. Nicht nur die LRHW, auch die SM 6-Version der Army fliegen mit
| über fünffacher Schallgeschwindigkeit und sind im Zielanflug manövrierbar. Daher
| sind sie hocheffektiv gegen mobile Ziele und sehr schwer abzufangen, selbst für
| moderne Raketenabwehr. Die Dark Eagle ist mit bis zu 17-facher
| Schallgeschwindigkeit kaum zu stoppen. Mit dieser hohen Eindringfähigkeit sind
| beide Waffen ideal, um auch solche russischen Hochwertziele auszuschalten, die
| gezielt geschützt werden. Die überaus teure Dark Eagle ist wohl für die
| wertvollsten Ziele vorgesehen; die SM 6 bietet dazu eine günstigere Alternative.
|
| Der Tomahawk fliegt zwar nur im Unterschallbereich, dafür aber extrem
| tief. Damit kann er oft unterhalb eines gegnerischen Radars bleiben und so der
| Luftabwehr entkommen. Als preiswertester der drei Flugkörper stellt der Tomahawk
| eine effiziente Lösung für weniger gut geschützte und wenig mobile Ziele
| dar. Dass die drei Waffen völlig unterschiedliche Flugbahnen haben, erschwert
| die Abwehr.
|
| Weitere Vorteile gegenüber luft- und seegestützten Abstandswaffen sind geringere
| Kosten und die Mobilität der bodengestützten Systeme. Sie werden von
| straßenmobilen Abschussrampen gestartet, die mit C-17A-Transportflugzeugen rasch
| verlegbar sind. Diese Mobilität macht die Army-Mittelstreckenwaffen weniger
| verwundbar als langsame Schiffe oder Flugzeuge am Boden.

Die neuen Mittelstreckenwaffen sollen landgestützt stationiert werden, sie
können überall in Deutschland als Gemüse-LKWs durch das Land gefahren werden. Wo
sie gerade stationiert sein werden, wissen die Russen oder auch nicht. Weil
diese Waffen auf jeden Fall vernichtet werden müssen, dürften Waffen entwickelt
werden, die in breiter Fläche größtmögliche Zerstörungen anrichten, vielleicht
so etwas wie Schrotschusskanonenraketen mit weit streuenden Atombomben.

Unsereins kann da nur rätseln, die „Experten" dürften es auch nicht besser
wissen. Militärstrategen machen gerne den Eindruck, ihre Planungen seien
rational, aber es handelt sich nur um Zockerei und Lotto.

|
| Keine großen zusätzlichen Risiken
|
| Mit der Stationierung bodengestützter US-Mittelstreckensysteme hierzulande ist
| die Frage nach Russlands Reaktion verbunden – und welche Risiken Moskaus
| Verhalten wiederum für Deutschland hätte.
|
| Gegner der Stationierungspläne meinen, die US-Waffen würden zu Zielscheiben für
| Moskaus Raketen, sodass Deutschland einer höheren Bedrohung ausgesetzt wäre. Dem
| ist entgegenzuhalten: Der Kreml dürfte künftige Mittelstreckenwaffen der USA
| zwar als legitime Ziele betrachten. Aber Putin sieht Berlin ohnehin als
| Gegner. Als logistische Nato-Drehscheibe mit vielen US-Basen ist Deutschland
| schon heute ein prioritäres Ziel für russische Abstandswaffen, wenn Moskau die
| Nato im Kriegsfall auf Distanz halten will. Neue US-Flugkörper verschärfen diese
| Lage nicht signifikant.

Die Russen schießen sowieso. Wer täglich seine Kiste Bier mit drei Flaschen Schnaps nimmt,
wird die Warnung, Alkohol könne tödlich sein, nicht besonders beachten, wenn er
sich noch ein paar Flaschen Gin am Abend einfüllen will.

Das Argument des Tempo-Tempo-Einsatzes ist so uninteressant, dass es noch nicht
mal erwähnt wird.

| Eine weitere Sorge ist, dass Putin sich im Gegenzug gezwungen sieht, mehr
| russische Waffen herzustellen und in Europa zu stationieren. Ein »Wettrüsten«
| wäre die Folge. In der Tat hat die russische Regierung noch während des
| Nato-Gipfels vage militärische Gegenmaßnahmen angekündigt. Im Juni hatte Putin
| schon verlautbart, Russland müsse wohl in Reaktion auf die kurzzeitige Verlegung
| von Tomahawk und SM 6 für Übungen der U.S. Army in Dänemark und den Philippinen
| mehr russische Kurz- und Mittelstreckenwaffen produzieren und gegebenenfalls
| stationieren. Doch die russische Fertigung von Abstandswaffen lässt sich
| zumindest kurzfristig kaum mehr steigern. Putin würde als Reaktion wohl gern
| neue Raketenprogramme auflegen, schon aus Prestigegründen. Wegen der aktuellen
| russischen Hochrüstung und der Sanktionen gegen das Land knirscht und kracht es
| in Russlands Rüstungssektor aber bereits jetzt an allen Ecken und Enden. Die
| Produktionskapazitäten, Fachkräfte und Finanzmittel sind begrenzt. Daher hegen
| auch russische und US-Fachleute, die die Sorgen vor einem Wettrüsten teilen,
| große Zweifel, dass der Kreml kurz- oder mittelfristig mit neuen Programmen ein
| Flugkörper-Wettrüsten initiieren könnte.

Die Russen können sowieso nicht mithalten. Auf die Länge stimmt das vermutlich
sogar. Denn die wirtschaftliche und technische Kraft des Westens ist der
Russlands weit überlegen. Das gilt aber nur, wenn der Westen einheitlich, unter
einem Kommando handelt. Der russisch-ukrainische Krieg lässt diese
Einheitlichkeit des Handelns nicht erkennen.

Aber immerhin lässt dieser Abschnitt erkennen, welch Nutzen der Krieg in der
Ukraine und vor allem seine möglichst unbegrenzte Verlängerung hat: Dieser Krieg
hindert Russland an seiner militärischen Entwicklung, die Nato würde ein
Wettrüsten um so siegreicher beenden können, je länger er dauert.

| Überdies monieren kritische Stimmen, Deutschland würde »singularisiert«, da nur
| hier stationiert werde. Bei der Nachrüstung der 1980er Jahre hatte Bonn darauf
| bestanden, es müsse in mehreren Nato-Staaten stationiert werden. Allerdings
| entsprang diese Sorge dem Umstand, dass die Bonner Republik besonders verwundbar
| war, da die Sowjetunion zum Beispiel eine neue Berlinkrise hätte provozieren
| oder andere Druckmittel im Zusammenhang mit der deutschen Teilung hätte finden
| können. Diese deutsche Sonderlage gibt es seit 1990 nicht mehr.
|
| Als Risiko wird zudem, speziell in Bezug auf die LRHW, eine verminderte
| Krisenstabilität diskutiert, also das verfrühte militärische Eskalieren
| Russlands aus Angst vor einem entscheidenden Überraschungsangriff der Nato. Die
| LRHW kann russisches Kernland in wenigen Minuten erreichen, und infolge der
| Manövrierfähigkeit sei für Moskau unklar, ob der Angriff eventuell Russlands
| nuklearem Vergeltungspotential gelte. Dadurch entstünden in Krisen Anreize für
| den Kreml, das eigene Atomarsenal frühzeitig einzusetzen, bevor Nato-Raketen es
| zerstören (»use 'em or lose 'em«). Ferner könne Moskau nicht wissen, ob
| anfliegende LRHW konventionell oder nuklear bestückt seien, und daher nuklear
| überreagieren.

Nun wird es niedlich:

| Doch dieses »warhead ambiguity«-Problem existiert nicht. Die drei
| bodengestützten Abstandswaffen gibt es nur konventionell. Die USA nutzen
| flexibel zu bewaffnende (dual-capable) Flugkörper seit 2011 nicht mehr.

Weil es nur ein paar Abstandswäffelchen geben soll, obendrein konventionell,
gibt es letztlich kein Eskalationsproblem. Es ist schließlich kaum mehr als ein
Nichts, was da stationiert werden soll.

Man könnte dann auf die Idee kommen, dass Wäffelchens, die nichts bedeuten, auch
nicht stationiert werden müssen.

| Die Ungewissheit, welches Ziel attackiert wird, und die kurze Flugzeit erhöhen
| tatsächlich den Druck auf den Kreml. Daraus abgeleitete Eskalationsrisiken
| werden aber oft überzeichnet. »Use 'em or lose 'em«-Szenarien, in denen Russland
| einen Nuklearkrieg gegen die USA startet, um zu verhindern, dass seine Raketen
| am Boden zerstört werden, werfen Fragen auf. Warum sollte Moskau aus Furcht vor
| einem möglichen US-Angriff einen Atomkrieg lostreten, bei dem die nukleare
| Vergeltung der USA garantiert ist? Russische Ängste vor US-Angriffen gab es zwar
| öfters. Sie führten aber zu mehr Vorsicht statt zu rascher Eskalation.

Es ginge nicht um einen Nuklearkrieg gegen die USA, wenn diese neuen Waffen
gleich zu Beginn eines Kriegs vernichtet werden sollen, sondern um einen schon
fast begrenzten Atomwaffeneinsatz auf dem Gebiet Deutschlands, die USA sind dann
noch weit weg. Und dass die USA ihre Städte für Wiesbaden oder Neubrandenburg
riskieren würden, mag man glauben.

Alles niedlich:

| Stark übertrieben wären Befürchtungen Moskaus, mit der Dark Eagle könne die Nato
| entwaffnende Präzisionsschläge führen und so Russlands nukleares
| Vergeltungspotential an Land in großem Umfang zerstören oder seine politischen
| Führungszentren auf einen Schlag ausschalten. Dafür sind schon die Stückzahlen
| der in Deutschland stationierten US-Systeme viel zu gering: Für die LRHW sind
| wohl nur vier Abschussrampen vorgesehen, von denen je zwei Flugkörper starten
| können. Die Rampen sind zwar nachladbar, aber die (geheime) Gesamtzahl der
| teuren Flugkörper müsste relativ klein sein.

Hier wird doch nichts stationiert, das Russland interessieren könnte! Zwar
wollen wir uns mit diesen Waffen eine neue - und zwar zentrale! - Fähigkeit
zulegen, aber das ist dasselbe wie gar nichts. Weshalb Russland auch gar nichts
machen wird. Sie lassen sich schließlich gerne enthaupten. Wie sie sich 2014
auch gerne Sebastopol nehmen ließen und überhaupt nicht weiter reagiert haben
und nie reagieren werden.

| Die wahrscheinlichste Reaktion wäre, dass Moskau Propaganda und Desinformation
| verstärkt, um die eigentliche Stationierung 2026 noch zu vereiteln und so
| Zweifel an der Nato zu säen. Von Russlands Nachrichtendiensten gesteuerte oder
| unterstützte Einflussoperationen haben zuletzt stark zugenommen. Gewiss ist
| nicht jede hierzulande geäußerte Kritik an der Stationierung der
| Mittelstreckenwaffen russische Propaganda. Moskau verbreitet aber das irrige
| Narrativ, die Nato schüre für ihren Selbsterhalt die Konfrontation mit Russland
| und opfere dafür die Sicherheit der Menschen in Europa.

Es reicht, Texte wie diesen zu zitieren.

| Insgesamt ist das Risiko für Deutschland moderat. Dagegen abzuwägen ist das
| reale Risiko des Nichthandelns: Welche Schlüsse zieht Putin, wenn ihm die Nato
| nicht signalisiert, dass eine weitere russische Eskalation in Richtung Nato auf
| eine entschlossene Allianz trifft, die neue, noch wirksamere Abstandswaffen zur
| Verfügung hat? Der Kreml-Propaganda sollte Berlin entgegenhalten, dass die
| Stationierung eine Reaktion auf Russland und kein Selbstzweck ist. Ein
| Rüstungskontrollvorschlag würde dies unterstreichen.

Diese Waffen sind natürlich nur eine Reaktion auf russisches
Verhalten. Merkwürdigerweise wird dieses Verhalten hier nicht geklärt. So gibt
es nicht nur keine politische Begründung in diesem Text, es gibt auch keine
militärische. Man kann nur staunen, womit die Autoren die Zeilen gefüllt haben.

| Potentiale für Rüstungskontrolle
|
| Der Kreml behauptet, die Nato stelle Mittelstreckenwaffen nur auf, um sich
| selbst zu erhalten. Diese Propaganda könnte die Allianz wirksam kontern, indem
| sie einen Verzicht auf die Stationierung anbietet – wenn Russland ebenfalls auf
| landgestützte Mittelstreckensysteme in Europa verzichtet oder ihre Zahl
| beiderseits auf niedrigem Niveau gedeckelt würde. Das wäre ein INF-Vertrag
| light. Da erst 2026 stationiert wird, gäbe es genug Gelegenheit zur Einigung,
| bevor Fakten geschaffen werden.

Warum nicht? Wenn der Westen die Raketensystem in Rumänien und Polen mit zur
Diskussion stellt, sollte das was werden können. Russland hatte entsprechende
Verhandlungen schon vor 10 Jahren angeboten. - Aber ist das so gemeint?

| Solche Rüstungskontrollideen hätten zum Ziel, das heute zugunsten Russlands
| bestehende Ungleichgewicht bei landgestützten Mittelstreckenwaffen in Europa
| abzumildern oder idealerweise zu beseitigen: Moskau verfügt über den
| Marschflugkörper SSC-8 (Zahl im hohen zweistelligen Bereich), der den
| INF-Vertrag 2019 zu Fall brachte, seit 2023 über die Raketen Zolfaghar aus Iran

Nur nebenbei: Bis heute fehlt der öffentliche Nachweis, dass die von den USA
beanstandeten Raketen den INF-Vertrag berührten. Aber man kann es ja mal einfach
so behaupten.

| (rund 400 Stück) und KN‑23 aus Nordkorea (etwa 50 Stück). Die seegestützten
| Hyperschall-Marschflugkörper Zirkon (Zahl im hohen zweistelligen Bereich)
| verschießt Russland seit 2024 auch von Land aus. Von seiner ballistischen
| Iskander-Version SS-26 müsste Moskau trotz ihres Einsatzes gegen die Ukraine
| noch deutlich über 100 Stück haben (Fachleute betrachten die SS-26 als
| Mittelstreckenwaffe.) Die Bilanz: Russland besitzt weit über 500 bodengestützte
| Mittelstreckenflugkörper, die Nato in Europa bislang keinen einzigen.

Geografische Asymmetrie, siehe oben.

| Aber wäre es sinnvoll, 2026 die mühsam erreichte US-Stationierung (und die teure
| Entwicklung bei ELSA) für eine Rüstungskontrollvereinbarung abzusagen? Das wäre
| der Fall, denn wenn Moskau durch die Einigung das Gros seiner A2/AD-Kapazität
| verlöre, bräuchte Europa auch weniger »Gegenmittel«. Bei den verbleibenden see-
| und luftgestützten Abstandswaffen wäre Nato-Europa im Vorteil. Auch hätten die
| USA dann mehr bodengestützte Mittelstreckensysteme für Ostasien zur Verfügung,
| wo das Ungleichgewicht zugunsten Chinas noch größer ist.

Rüstungskontrolle als Mittel, Überlegenheit zu gewinnen. - Aber da die Russen
nun mal doof sind, kann man es ja mal versuchen.

| Dr. Jonas Schneider ist Wissenschaftler und Torben Arnold ist
| Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Das Aktuell
| entstand im Rahmen des Projekts »Strategic Threat Analysis and Nuclear
| (Dis-)Order« (STAND).
`----


So hart es klingt: Es ist sehr beruhigend, dass die Spezialisten der SWP nur
einen sehr wirren Text verfassen können, in dem sie am Schluss die ersten
Abschnitte selbst widerrufen. Und es ist sehr beunruhigend, dass sie diesen Text
trotzdem in die Welt geschickt haben. Ob sie nicht gemerkt haben, dass sie
konfuses Zeug schreiben? Wenn nicht, wäre das schlimm, sie haben sich in einer
wirren Welt eingerichtet.



Das Vorbild:
„Europa braucht die US-Mittelstreckenraketen -- Die Entscheidung zur
Stationierung neuer Raketen aus den USA beunruhigt viele. Aber um Europa besser
zu schützen und mehr Verteidigungsoptionen zu haben, ist sie notwendig. --
Claudia Major -- 19.07.2024 - 14:04 Uhr"
https://www.handelsblatt.com/meinung/kolumnen/geoeconomics-europa-braucht-die-us-mittelstreckenraketen/100053473.html

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| So hart es klingt: Im Ernstfall müssen Nato-Staaten auch selbst angreifen
| können, zum Beispiel um russische Raketenfähigkeiten zu vernichten, bevor diese
| Nato-Gebiet angreifen können, und um russische Militärziele zu zerstören, wie
| Kommandozentralen.
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„"Im Ernstfall müssen Nato-Staaten auch selbst angreifen können" -- 20. Juli 2024
-- Florian Rötzer‚"
https://overton-magazin.de/top-story/im-ernstfall-muessen-nato-staaten-auch-selbst-angreifen-koennen


„SWP rechtfertigt Stationierung von US-Mittelstreckenraketen: "Keine großen
zusätzlichen Risiken" -- 4. August 2024 -- Florian Rötzer2
https://overton-magazin.de/top-story/swp-rechtfertigt-stationierung-von-us-mittelstreckenraketen-keine-grossen-zusaetzlichen-risiken/



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