Montag, 11. Oktober 2021

(1) Smarte Ratschläge zur Außen- und Militärpolitik - kommentiert

Smarte Ratschläge zur Außen- und Militärpolitik - kommentiert - 1.

Smarte Ratschläge – Kommentar

Fortsetzung von https://friedenslage.blogspot.com/2021/10/smarte-ratschlage-kommentar-licstart.html

Kommentar 1 zu:

https://dgap.org/de/forschung/publikationen/smarte-souveraenitaet#Sicherheits-%20und%20Verteidigungspolitik

Aktionsplan Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Was Deutschland für Sicherheit, Verteidigung und Frieden tun muss

Für das offene und global vernetzte Deutschland hängen die Sicherheit der Welt und die der europäischen Nachbarschaft untrennbar mit der eigenen zusammen. Inmitten dieser globalen Verflechtungen krankt die deutsche Sicherheitspolitik jedoch an vielerlei Fehleinschätzungen. Angesichts der Verschlechterung der strategischen Lage muss die neue Bundesregierung die Kraft zu einer Erneuerung der deutschen Sicherheitspolitik finden. Ansonsten droht Deutschland der Verlust von Handlungsspielräumen und die Vereinnahmung durch strategische Herausforderer.

Dr. Claudia Major, Dr. Constanze Stelzenmüller, Dr. Christian Mölling

Dieser Aktionsplan ist im Rahmen des Berichts „Smarte Souveränität“ der Ideenwerkstatt Außenpolitik, gefördert durch Stiftung Mercator, entstanden.

Es bietet einen unbestreitbaren Vorteil, solch ein Papier „Aktionsplan“ zu nennen: Man schreibt nur auf, was geschehen soll. Man muss es nicht begründen. Denn irgendwo und irgendwie sind das Warum und das Weshalb schon mal aufgeschrieben worden. Bei einem Aktionsplan kann man sogar auf Verweise in den Fußnoten verzichten. Wer die Begründungen nicht kennt, hat selbst schuld.

Empfehlungen

Strategische Kultur und institutionelle Reform

  1. Strategische Kultur lebendiger gestalten 2. Einen handlungsfähigen Bundessicherheitsrat (BSR) schaffen 3. Sicherheitspolitische Kommission einrichten 4. Sicherheitspolitik demokratisieren

Reform der Politik

  1. Stärken der NATO und EU verzahnen 2. Planungssicherheit und Mittelverwendung verbessern 3. Nukleare Ordnung, Abschreckung und Rüstungskontrolle mitgestalten 4. Krisenprävention und Stabilisierung besser aufstellen 5. Exportkontrolle von Rüstungsgütern und Technologie neu ordnen 6. Resilienz in Deutschland, in Europa und im Bündnis stärken

Das ist der Überblick über den Text. Mal abwarten, was da kommt.

Für das offene und global vernetzte Deutschland hängen die Sicherheit der Welt und die der europäischen Nachbarschaft untrennbar mit der eigenen zusammen. Insbesondere nach dem Fall der Mauer 1989 haben unter dem Schirm der Vereinten Nationen gewachsene normative Ordnungen den Wohlstand, die Sicherheit und das Ansehen des vereinigten Deutschlands gemehrt, allen voran die Europäische Union und das von der Sicherheitsgarantie der USA getragene westliche Bündnis. Kein Land in Europa hat so von der Erweiterung der EU und der Einführung des Euros profitiert wie Deutschland. Die Energiepartnerschaft mit Russland und die Handelspartnerschaft mit China haben dazu beigetragen, Deutschland zum wirtschaftlichen Motor Europas zu machen. Die Erweiterung der NATO schließlich machte die ehemaligen deutschen Frontstaaten zum geografischen Mittelpunkt des europäischen Bündnisgebiets.

Sieht doch gut aus, oder? Aber irgendwie ist das alles falsch. Denn jetzt haben wir außenpolitische Krisen. Da muss etwas falsch gelaufen, falsch verstanden worden sein:

In Deutschland wurde diese Entwicklung doppelt falsch gelesen, wie der Diplomat Thomas Bagger angemerkt hat: als Beleg für eine globale Konvergenz in Richtung des westlichen Modells und als Beweis dafür, dass sich die deutsche Erfahrung einer friedlichen Beilegung des Kalten Krieges verallgemeinern lässt. Aus diesen Missverständnissen zogen viele Deutsche den Fehlschluss, dass sie in einem angemessenen und stabilen Status quo leben, der den Einstieg in eine umfassende Abrüstung erlaube. Die Schattenseite der wirtschaftlichen Verflechtung etwa bei der Abhängigkeit vom Handel mit China wollten sie nicht sehen. Noch weniger wollten sie wahrhaben, dass Partner zu Rivalen und Gegnern werden können, wie dies bei Russland spätestens seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 der Fall ist. Schließlich ignorierte Deutschland viel zu lange die Kritik seiner Partner an den strategischen Nebenwirkungen der deutschen Wirtschaftspolitik, etwa mit Blick auf Vorhaben wie Nord Stream 2. An all diesen Fehleinschätzungen krankt die deutsche Sicherheitspolitik bis heute.

Nun, der Redenschreiber von Joschka Fischer und Mitarbeiter von Bundespräsident Steinmeier1 muss es wissen. Aber schon ein allerester Blick kann erkennen, dass es sich bestenfalls um eine halbe Sicht auf das Weltgeschehen der letzten Jahrzehnte handelt: Die Akteure USA und EU samt ihren Mitgliedsstaaten fehlen einfach. Folgt man Bagger, dann haben diese Akteure die letzten 30 Jahre friedlich und blauäugig all ihre Zeit vertan.

Davon kann jedoch im Ernst nicht die Rede sein. Vielmehr waren es gerade Staaten des Westens, die neuen politischen Kooperationsmöglichkeiten nach dem Ende des Kalten Krieges zerstörten2. Wenn dieser kleine Absatz ein Ersatz für eine politische Analyse der Weltlage sein sollte, dann sind diese Ratschläge schon falsch gestartet.

Eine neue, gefährliche Ära

Inzwischen ist offensichtlich, dass die historische Konstellation, die Deutschland in der Zeit nach Ende des Kalten Krieges in so einmaliger Weise schützte, an ihr Ende kommt. Mit großer Geschwindigkeit wachsen neue Gefahren und Bedrohungen für Deutschlands Sicherheit heran, durch die bereits bestehende Bedrohungen wie Kriege, Staatszerfall, Terrorismus und die Proliferation von Massenvernichtungswaffen in ihrer Wirkung noch verstärkt werden:

  • Chinas globale Dominanzstrategie und Russlands territorialer Revisionismus;
  • Amerikas Ambivalenz gegenüber seiner bisherigen Rolle als globaler Sicherheitsgarant;
  • Neue Waffentechnologien (z.B. Hyperschallraketen, KI, autonome Systeme, weltraumgestützte Systeme, biotechnologische Materialien), teils in Kombination mit „alten“ aber modernisierten Waffensystemen wie Nuklearwaffen;
  • Informations-Operationen (Propaganda, Desinformation) mit Hilfe neuer Medientechnologien

Die gegenwärtigen Krisen sind also nicht Folge der Politik westlicher Staaten und/oder Staatsbündnisse. (Wenn man diesen Text liest, fragt man sich, welche Vorstellungen die Autoren von den Kenntnissen, der Reflektionsfähigkeit und dem persönlichen Charakter der Leser ihrer Ratschläge haben. Es geht darum, eigene Blindheit anderen weiter zu geben.)

Weder kennt jemand Chinas globale Dominanzstrategie noch Russlands territorialen Revisionismus. Beim Ersten geht es darum, per „Neuer Seidenstrasse“ us-amerikanischen Strangulationsmöglichkeiten offensiv entgegen zu treten3, indem eine eigene Weltökonomie geschaffen wird. Das Zweite ist nicht mehr als der defensive Versuch, sich nicht einschnüren zu lassen4. Es gibt also keinen vernünftigen Grund, das Verhalten dieser beiden Staaten als unprovoziert zu begreifen. Wer aber keine Kontexte herstellt, versteht nicht, was geschieht und kann nur falsch beraten.

Kriege, Krisen und interne Konflikte finden nicht nur an Europas Grenzen statt (Israel-Palästina, Syrien, Armenien, Nordafrika), sondern in Europa selbst: von Belarus über die Ukraine und den Balkan bis in das östliche Mittelmeer. Ihre Auswirkungen beeinträchtigen Europa auf vielfältige Weise: über Lücken in den Wertschöpfungsketten oder Fracht- und Gastransitrouten, über Migrations- und Fluchtbewegungen und über Versuche, Diaspora-Populationen politisch zu instrumentalisieren. Oft stehen hinter lokalen Konfliktparteien Drittmächte wie China, Russland, der Iran, die Türkei oder Saudi-Arabien. So wird die europäische Nachbarschaft zunehmend zum Schauplatz einer Konkurrenz von Groß- und Regionalmächten, deren Sog sich Europa und Deutschland kaum entziehen können. Dies trifft insbesondere zu, wenn Alliierte in diesen Konflikten beteiligt sind, etwa die Türkei.

Wieder waren westliche Staaten an nichts und wieder nichts aktiv („proaktiv“ wie man es heute nennt) beteiligt. Völker schlagen aufeinander und fremde Mächte machen den Strippenzieher. Alle andere sind unschuldig5. – Es ist nicht interessant, sich mit solchen Behauptungen auseinander zu setzen. Das ist hinlänglich geschehen6. – Interessant ist allerdings, dass es für möglich gehalten wird, mit solch blindem Zeugs die politische Szenerie in Berlin beeinflussen zu können. Die Autoren werden schließlich öfter als Fachleute/Spezialisten geladen. Wie kann das angehen? Es muss ein großes Publikum für solch schwache Texte geben, ebenso viele Journalisten, die sich längst von den Pflichten von Massenmedien in der Demokratie verabschiedet haben. Und es gibt keine politische und keine publizistische Opposition gegen solch zwar vorherrschenden, aber doch einfältige Redereien.

Austragungsort des Systemwettbewerbs

Längst ist auch Europa selbst zum Austragungsort und Objekt des Systemwettbewerbs zwischen Demokratien und Autokratien geworden. China, Russland und die Türkei verfolgen unterschiedliche Ziele, aber es ist unverkennbar, dass alle drei Länder zunehmend als Rivalen oder gar Gegner des Westens agieren. Dabei instrumentalisieren sie Differenzen innerhalb der NATO oder der EU. Sie tragen bilaterale Konflikte in diese Organisationen und spielen Akteure und Öffentlichkeiten innerhalb der Mitgliedstaaten gegeneinander aus. Sie unterstützen innerstaatliche Extremisten und verhindern Solidarität und gemeinsames Handeln. In letzter Konsequenz steht dadurch die Zukunft des Westens, des europäischen Projekts und der Demokratie in Deutschland auf dem Spiel.

Die unübersehbaren Fliehkräfte in NATO und EU machen Deutschland zu dem Punkt, an dem die europäische Ordnung aus den Angeln gehoben werden könnte.

Es stimmt schon, dass die Konflikte, die der Westen um Europa inszeniert hat, nach Europa zurückschlagen. Jedoch ist es schon beachtlich, wenn die Autoren meinen, dass dadurch schon Solidarität und gemeinsames Handeln verhindert wird. (Man könnte allerdings auch andere Gründe dafür finden, dass es in der EU an nötiger Geschlossenheit mangelt.) Die Folgen dieser (vom Westen selbst angezettelten!) Krisen bedrohen nun schon die Zukunft des Westens, des europäischen Projekts und der Demokratie in Deutschland. Der nahe liegende Schluss wäre nun, dass Deutschland sich darum bemüht, dass die verschiedenen westlichen Staaten und Staatenbünde sich in Zukunft zurück halten und darauf verzichten, Unruhe in die Staatenwelt zu bringen. Eine halbwegs vernünftige Ursachenanalyse läge eine entsprechende Schlussfolgerung nahe. Aber weil genau dieser Schluss nicht gezogen werden soll, muss die Ursachenanalyse wegfallen, durch Redensarten ersetzt werden.

Die bestehenden Sicherheitsordnungen in Europa (NATO, EU und OSZE) werden aber auch von den eigenen Mitgliedern in Frage gestellt. Im Falle der OSZE sind es autokratische Regierungen wie die in Russland, die ihre Legitimität reduzieren. Die EU wird durch den Brexit und autoritäre und nationalistische Regierungen wie in Ungarn und Polen geschwächt. Die NATO wiederum leidet unter amerikanischen Ambivalenzen; wobei es auch nicht hilft, wenn ein französischer Präsident das Bündnis für politisch „hirntot“ erklärt. Aber auch Deutschlands politische Akteure tragen große Verantwortung: Sie haben es jahrzehntelang unterlassen, die Gesellschaft über die realen Herausforderungen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufzuklären. Sie haben den deutschen Verteidigungsbeitrag in Frage gestellt und die Bundeswehr unterfinanziert. Und trotz ihrer Bekenntnisse zu EU und NATO betreiben sie Projekte mit Russland und China wie Nord Stream 2, die Europa und das Bündnis spalten.

Die Ansage Macrons, die Nato sei „hirntot“ hat doch den trefflichen Kern, dass die Nato keine gemeinsame politische Agenda hat. Militärisch funktioniert sie, wie die Aktionen der Nato an ihrer Ostgrenze zeigen. Aber im politisch-militärischen Bereich macht nach wie vor jeder, was er will7. Daran würde auch eine verstärkt nach innen gerichtet Nato-Propaganda welcher Bundesregierung auch immer nichts ändern.

Und wenn eine deutsche Regierung Nordstream 2 aufgäbe, würde das nichts an der antirussischen polnischen Außen- und Militärpolitik ändern, vermutlich eher im Gegenteil. Vielmehr wäre dann zu befürchten, dass Russland angesichts der Aufrüstung des Westens im Ostseebereich8 gegenüber den westlichen Ostseeanrainern nicht mehr zu zurückhaltend aufträte, wie es das bislang macht.

Die unübersehbaren Fliehkräfte im Bündnis und in der EU machen Deutschland zu dem Punkt, an dem die europäische Ordnung aus den Angeln gehoben werden könnte. Die Tatsache, dass die Bundestagswahl im September und der damit verbundene Macht- und Generationenwechsel in der deutschen Politik schon im Vorfeld zum Gegenstand von Desinformations- und Propagandakampagnen wurden, ist ein Beleg dafür. Deutschland erlebt überdies seit Jahren eine massive Einflussnahme von ausländischen Akteuren, vom legalen Einkauf in kommunale oder private Infrastrukturen und Innovationssysteme bis zu illegalen Cyberangriffen. Hybride Bedrohungen werden aber erst seit 2020 von der deutschen Regierung als eigenständiges Thema behandelt – mit Federführung im Bundesinnenministerium. Damit gehört Deutschland zu den Nachzüglern in EU und NATO.

Mit Deutschland die europäische Ordnung aus den Angeln heben? Wie sollte das gemacht werden? Durch Desinformationskampagnen zur Bundestagswahl! Nur: Wo sind die gewesen? Hat keiner mitbekommen. Noch nicht einmal die Leitung der Bundestagswahl9. - Sie leben in in ihrer eigenen Welt. – Die ausländischen Akteure in Deutschland, die transatlantischen Ursprungs sind, werden jedoch, wie immer, übersehen.

Was ist zu tun?

Deutschland hat in den vergangenen Jahren begonnen, die Kluft zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit in seiner Sicherheitspolitik zu verkleinern. Bei den EU-Sanktionen gegen Russland nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 hat die Bundesregierung die Führung übernommen. Sie hat sich auch bei der Bündnisverteidigung in der NATO und in internationalen Militäreinsätzen stärker engagiert. Der Verteidigungshausha lt ist erheblich angestiegen, von 32 Milliarden Euro 2014 auf knapp 47 Milliarden Euro 2021. Und dennoch bleibt der Eindruck, dass Deutschland vor allem auf äußeren Druck reagiert—und auch dann noch zu wenig und zu spät.

Man muss Deutschland also loben: Es hat angefangen seinen Anteil an jener Politik, die die gegenwärtige Krisen der internationalen Krisen hervor gerufen hat, verstärkt, um diese Krisen zu bekämpfen. Es gehört keine große dazu zu vermuten, dass die deutsche Politik damit weitere Krisen mindestens verschärft, wenn nicht gar selbst hervor ruft, zB in Osteuropa. – Geht es verrückter?

Empfehlungen

  1. Strategische Kultur lebendiger gestalten

In Deutschland können sich die politischen Akteure nur wenige Handlungsoptionen überhaupt vorstellen, als legitim ansehen und öffentlich vertreten. Es mangelt an Vorstellungskraft, politischem Willen und Verantwortungs- und Risikobereitschaft, um problemangemessene Politiken zu entscheiden und die Strukturen und Prozesse so zu gestalten, dass die erforderlichen Instrumente und Ressourcen bereitstehen. Doch wenn Probleme in den Planungen nicht berücksichtigt werden, dann stehen für ihre Bewältigung auch keine angemessenen Instrumente zur Verfügung (Masken, Kommunikationsinfrastruktur oder schnelle Krisenreaktionsverbände). Dann kann die Sicherheit in diesen Situationen nicht oder nicht bestmöglich gewährleistet werden. In einer akuten Krisensituation engt dieser vielfältige Mangel den Handlungsspielraum der politischen Akteure also so stark ein, dass sie nicht angemessen agieren können.

Die Deutschen sind halt etwas doof. Vermutlich eine Folge der Umerziehung nach 1945. Sagt man zwar nicht, meint man vielleicht auch nicht, klingt aber so aber, weit rechts …

Das liegt an der spezifischen gesellschaftlich-kulturellen Dimension, der so genannten strategischen Kultur. Sie bestimmt, welchen Grundannahmen die Sicherheitspolitik eines Landes folgt und gibt den Rahmen dafür vor, worüber man politisch streiten und entscheiden kann, und welche Handlungsoptionen unvorstellbar sind. In Deutschland ist dieser Rahmen der denkbaren Ziele und Mittel und damit der Handlungsspielraum eing eschränkter als bei unseren engsten Partnern. Der Grund hierfür sind historisch bedingte oder parteipolitische und gesellschaftliche Normen und Weltanschauungen. Politischen Entscheidern schlägt deshalb erheblicher Widerstand entgegen, wenn sie Politikansätze außerhalb des allgemein akzeptierten Rahmens verfolgen wollen. Solche Ansätze werden in den Planungen selten berücksichtigt.

Also doch historisch bedingte Anschauungen: Nicht so sein wollen, wie Deutschland in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Das schafft heute ein Problem, wo man doch wieder so sein muss, jedenfalls etwas.

Deshalb ist es legitim und notwendig, dass die nächste Bundesregierung es sich zum Ziel macht, die nationale Strategiefähigkeit zu stärken, also die Fähigkeit, angemessene sicherheitspolitische Ziele zu definieren und die Mittel für die Umsetzung bereitzustellen. Die dafür erforderlichen Veränderungen in der strategischen Kultur Deutschlands sind allerdings schwer zu erreichen. Es braucht nicht nur die Einsicht der politischen Akteure, sondern auch den Willen, diese gewünschten Veränderungen in die Öffentlichkeit zu tragen und sie an dieser Willensbildung aktiv zu beteiligen.

Legitimität muss nicht begründet werden, sie ist einfach da. Die politische Führung muss nur wollen. Dann klappt das schon10.

Probleme müssen regierungsgemeinsam als solche erkannt werden, Lösungen gemeinsam entschieden und Instrumente koordiniert eingesetzt werden.

In einem föderalen Land wie Deutschland ist die Macht auf verschiedene Ebenen verteilt. Veränderungen der sicherheitspolitischen Problemwahrnehmung, Ziele, Mittel und Lösungen sind nur möglich, wenn Regierung, Parlament, die sicherheitspolitische Community und die Zivilgesellschaft an diesem Wandel teilnehmen können. Sonst blockieren sie ihn.

Entscheidend für dauerhafte Veränderungen von Regierungshandeln sind Institutionen und Prozesse, die regierungsgemeinsames Handeln zur Regel machen. Probleme müssen regierungsgemeinsam als solche erkannt werden, Lösungen gemeinsam entschieden und Instrumente koordiniert eingesetzt werden. Dadurch, dass Regierung und Bürokratie ihr Handeln immer wieder auf den verschiedenen staatlichen Ebenen, und gegenüber der Öffe ntlichkeit erklären, können sie auch dazu beitragen, den Rahmen der überhaupt vorstellbaren Ziele und Mittel zu erweitern.

Stimmt ja: Probleme müssen regierungsgemeinsam erkannt werden. Das ist in einem parlamentarischen System immer so, sonst gibt es keine Mehrheiten. Und in einem föderalistischen System ist die Sache noch ein paar Dimensionen komplizierter. Das war übrigens die Absicht der Westalliierten bei der Schaffung des Grundgesetzes: Es sollte in Deutschland nicht mehr möglich sein, dass eine Zentrale im Land „durchregiert“. Und eigentlich hat diese System Deutschland ganz gut getan.

  • Einen handlungsfähigen Bundessicherheitsrat (BSR) schaffen
  • Dieser Rat wird das Problem einer mangelnden sicherheitspolitischen Kultur im deutschen Föderalismus auch nicht lösen.

  • Sicherheitspolitische Kommission einrichten
  • Als eine seiner ersten Handlungen sollte der BSR eine unabhängige Sicherheitspolitische Kommission einsetzen. Diese ist zusammengesetzt aus Parlamentariern, Experten, und Ministerialbeamten. Sie erarbeitet innerhalb eines Jahres einen Bericht zu den Risiken und Chancen, auf die eine gesamtstaatliche Sicherheitspolitik vorbereiten muss, und Empfehlungen für Politikinhalte, Strukturen und Instrumente. Dam it liefert die Kommission wichtigen inhaltlichen Input für die nationale Sicherheitsstrategie und die übrige Arbeit des BSR.

    Die Kommission sollte danach jedes Jahr die Fortschritte bei der Umsetzung der Sicherheitsstrategie bewerten. Ihre Berichte können einen Beitrag zum Aufbau einer „Community“ aus Experten, Politikern und Praktikern in Ministerien und bei Privatakteuren leisten. Dies wird dazu führen, dass die Regierung ihre Sicherheitspolitik besser erklärt und eine öffentliche Debatte fördert, was wiederum Voraus setzung für die Weiterentwicklung der strategischen Kultur ist.

    Unsere Fachleute von der DGAP sind nicht in der Lage, die Lage kritisch zu analysieren und Wege des Umgangs mit ihr vor zu schlagen. Zu einem anderen Schluss kann man bei der Lektüre dieser Ratschläge bislang nicht kommen. Deshalb soll jetzt ein Kommission eingesetzt werden. Die aber soll, von ihrer Zusammensetzung her, mit quasi-amtlicher Autorität schreiben. Anders als der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“11 soll er auch mit Parlamentariern, Beamten und Vertretern der (Rüstiungs-?)Wirtschaft besetzt werden. Damit wird er schon fast ein Teil des politischen Systems. Weil die zugehörigen Parlamentarier in den Bundestags hinein wirken dürften, würde solch ein Gremien die Autonomie des Parlaments und damit die parlamentarische Demokratie schwächen, weil Entscheidungsvorbereitungen in ferne Gremien verschoben werden. Aber das ist wohl auch Sinn der Sache.

  • Sicherheitspolitik demokratisieren
  • Neue Lösungen und sicherheitspolitische Weiterentwicklung werden möglich, wenn Regierung, Parteien und Parlament eingeübte Argumentationen und reflexartige Reaktionen überwinden und stattdessen Positionen erklären und begründen müssen. Bürgerinnen und Bürger sollten an der Entwicklung von politischen Optionen und Zukunftsvisionen teilnehmen. Eine den Herausforderungen angemessene Sicherheitspolitik kann nur entstehen, wenn die Zivilgesellschaft sie versteht, akzeptiert und im besten Fall unterstützt. Das gilt insbesondere für Präventionsmaßnahmen. Folgende Möglichkeiten bieten sich an:

    Demokratie heißt also, dass die Zivilgesellschaft versteht, akzeptiert und im besten Fall unterstützt, was die aus dem Parlament ins Vierteldunkle gerückte Obrigkeit von ihr will.

    Bürgerinnen und Bürger sollten an der Entwicklung von politischen Option und Zukunftsvisionen teilnehmen.

    Die Zivilgesellschaft sollte eingebunden werden, vor allem bei der Entwicklung von Zukunftsvisionen und dem Erarbeiten von politischen Optionen. Ihre Erkenntnisse und Vorschläge sollten als Input in die Arbeit der sicherheitspolitischen Kommission und die nationale Sicherheitsstrategie einfließen. Dafür könnten Regierung und Parlament ein sicherheits-und friedenspolitisches Jahr oder Semester ausrufen. Deren Umsetzung könnten die Bundeszentrale für politische Bildung sowie die Landeszentralen, politischen Stiftungen, Ministerien, Schulen, Universitäten, Medien und andere Institutionen mit interaktiven und partizipativen Veranstaltungen begleiten, die über die Hauptstadt hinaus in die Länder und über die Expertengemeinschaft hinaus in die Bevölkerung reichen.

    Die Zivilgesellschaft soll also eingebunden werden, wenn politische Möglichkeiten erarbeitet werden. Sie darf immerhin, in aller Grpßzügigkeit, an ihrer Entmündigung teilnehmen. Daran sollen neben vielen anderen Einrichtungen auch die Bundeszentrale der politischen Bildung und Schulen teilnehmen. Damit wird der Sinn von Bildung verkehrt: Nicht das Subjekt erarbeitet sich in der Auseinandersetzung mit der Welt seine Bildung und formt sich nach ihr (um), er wird vielmehr von der Obrigkeit in deren Sinn so geformt, dass er freiwillig tut, was von fremder Seite von ihm erwartet wird12.

    Das Parlament könnte eine jährliche nationale Sicherheitswoche im Bundestag abhalten.

    Die Bundesregierung sollte vorzugsweise während der Sicherheitswoche einen jährlichen Umsetzungsbericht zur Nationalen Sicherheitsstrategie vorlegen, eingeleitet durch eine Grundsatzrede von Kanzler oder Kanzlerin zur Sicherheitspolitik.

    Wenn es schon spontan nicht einsichtig ist, dass Deutschland jene Politik, die die gegenwärtige Krisen mit herbei geführt hat, verstärkt, damit die Krisen bewältigt werden, dann muss der Verständnis-Prozess eben politisch inszeniert werden. Am Grundrecht auf Bildung darf der Aspekt der Selbst-Bildung schon mal geopfert werden.

    In seiner derzeitigen Ausschussstruktur spiegelt der Bundestag nicht die Vernetzung von Innen-, Außen-, Verteidigungs-, Wirtschaftspolitik und Entwicklungszusammenarbeit wider, die aber für eine strategische deutsche Sicherheitspolitik notwendig ist. Der Bundestag sollte einen Sicherheitspolitischen Ausschuss einrichten. Dieser neue Ausschuss würde die Arbeit des Bundessicherheitsrats begleiten und par lamentarisch kontrollieren. Diese Konstruktion gewährleistet, dass eine größere Handlungsfähigkeit der Exekutive nicht auf Kosten ihrer demokratischen Legitimität und der Kontrollrechte der Parlamentarier geht. Dieser Ausschuss sollte Abgeordnete aus allen relevanten Ausschüssen beteiligen.

    Dies würde einen umfassenden sicherheitspolitischen Ansatz ermöglichen und verteidigungspolitische Fragen besser mit internationaler politischer Analyse verbinden. Sicherheits- und verteidigungspolitischen Themen würden so mehr Gewicht und Reichweite erhalten.

    Auch hier wieder: In das politische System der parlamentarischen Demokratie sollen Querstreben eingezogen werden, die die „Handlungsfähigkeit“ der Exekutive kontrollieren sollen, indem sie in sie eingebunden werden, so eine Art Notstandsparlament nach 53a GG, jedoch auf Dauer gestellt, permanent aktiv.

    Insgesamt: Andeutungen von hundsmiserabler Analyse, bei der man sich allerdings noch um die Frage streiten kann, ob sie einfach nur einäugig ist oder schon dumm. Dazu Vorschläge, die zu Maßnahmen führen, die die Krisen mit jenen Konzepten und Maßnahmen bekämpfen wollen die diese Krisen herbei geführt haben, allerdings in Potenz. Bestenfalls völlig nutzlos, wenn auch teuer, das hängt davon ab, wie China und vor allem Russland damit umgehen. Schlimmstenfalls beeinträchtigen sie Demokratie in Deutschland und führen in unsinnige militärische Auseinandersetzungen.

    Bislang jedoch darf man davon ausgehen, dass ein ausreichend großer Teil der Deutschen mit solchen Militarisierungen nichts anfangen kann.

    Fußnoten:

    2

    S. Johannes Varwick, Nato in (Un-)Ordnung, S. 108ff. Oder die Hinweise auf eine europäische „Grand Strategy“ bei Claudia Haydt /Jürgen Wagner: Die Militarisierung der EU, S. 19ff. Die Liste lässt sich fortsetzen.

    7

    AUKUS als bislang letztes Beispiel, weitere werden folgen.

    10

    Erinnert an Frank Rosin und Kabel 1. Anschließend landet die Kneipe trotzdem im Bankrott.

    12

    Irgendwie war das mit der Bildung in Preußen-Deutschland mal ganz anders gemeint gewesen, s. Peter Watson: Der deutsche Genius, Bertelsmann, S. 245. Aber das ist eben abzuschaffen.

    Autor: Dr. Horst Leps

    Created: 2021-10-11 Mon 18:02

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