Dienstag, 12. Oktober 2021

(2) Smarte Ratschläge zur Außen- und Militärpolitik - Kommentar

Smarte Ratschläge zur Außen- und Militärpolitik – Kommentar 2

Smarte Ratschläge zur Außen- und Militärpolitik – Kommentar 2

Fortsetzung von https://friedenslage.blogspot.com/2021/10/smarte-ratschlage-kommenentar-licstart.html und https://friedenslage.blogspot.com/2021/10/smarte-ratschlage-zur-sicherheits-und.html

Kommentar 2 zu:

https://dgap.org/de/forschung/publikationen/smarte-souveraenitaet#Sicherheits-%20und%20Verteidigungspolitik

Aktionsplan Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Was Deutschland für Sicherheit, Verteidigung und Frieden tun muss

Die erste Hälfte des Aktionsplans beruht auf einer grottenfalschen Analyse und zielte auf sukzessive Einschränkung von Demokratie, um eine Politik auf eben dieser falschen Analyse in Deutschland durchsetzen zu können.

Reform der Politiken

1 Stärken der NATO und EU verzahnen

Die globalen und regionalen Sicherheitsinstitutionen wie die Vereinten Nationen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bewirken immer weniger, weil sie durch Konflikte unter den Mitgliedern blockiert werden. Deutschland sollte eine weitere Erosion dieser Institutionen nach Kräften verhindern. Aber wirkliche Handlungsfähigkeit im Sinne gestalterischer Optionen bieten zurzeit vor allem EU und NATO.

Kommt drauf an, was man unter „Handlungsfähigkeit“ ersteht. Die Fähigkeit, politische Verhältnisse außerhalb des geografischen Bereichs ihrer Mitglieder gehört kaum dazu, wie die epochale politische und militärische Niederlage zeigt. Die Kriege von Nato-Staaten in diesem Jahrhundert haben ausnahmslos alle ein anderes Ergebnis gehabt, als angestrebt worden war. Gewalt und Macht führen nicht unbedingt dort hin, wo man hin will. Solange dieses - vorsichtig gesagt - Missverhältnis von Aufwand und Resultat nicht bedacht wird, sind alle Überlegungen und Ratschläge zum Them „Handlungsfähigkeit“ ohne praktischen Nährwert.

… Den rasant wachsenden Herausforderungen kann Europa nur dann erfolgreich begegnen, wenn es die unterschiedlichen Kompetenzen beider Organisationen gemeinsam einsetzt. Dafür bedarf es der Bereitschaft, ideologische Positionen zu überwinden. Die NATO ist die stärkste Militärallianz der Welt, wenn sich die Alliierten politisch einig sind.

Da in der Nato die USA dominieren, ist die Forderung nach Gemeinsamkeiten von EU und Nato im Kern die Unterwerfung der EU unter die USA. Damit wird klar, dass die EU und damit auch Deutschland sich in der beschworenen Weltenkonkurrenz von USA und China nicht nur auf die Seite der USA stellen sollen, sie sollen sich vielmehr den USA in diesem Konkurrenzkampf unterordnen. Das ist ein sehr unsicherer Weg, denn die Nato ist zwar, wie unsere Ratgeber behaupten, die stärkste Militärallianz der Welt, wenn sich die Alliierten politisch einig sind, jedoch im Falle des Falles vielleicht noch militärisch, aber keinesfalls sicher politisch durchsetzungsfähig. Die militärische Stärke der Nato kostet so viel Geld, dass politische Interventionen mit finanziellen Mittel kaum noch möglich sind.

Wer weiß, hätte man Saddam Hussein ein Schatulle mit 1 Mrd US-Dollar überreicht, damit er seinem Klan und sich selbst ein unendlich reiches Leben hätte gönnen können, wäre jetzt womöglich ein paar Millionen Menschen noch am Leben. Auch 10 Mrd US-Dollar wären ein Spottpreis gewesen. Aber man ist so sehr auf Gewalt fixiert, so verrückt, dass möglicherweise erfolgreichere Politik-Methoden nicht mehr in den Blick kommen. Das Ergebnis: Das Militär it gewaltig und (fast) nutzlos zugleich.

Und daran sollen die EU + Deutschland sich beteiligen. Sagen die Ratgeber.

… Deutschland sollte sich für eine möglichst kohärente Analyse der Lage und Zukunft der europäischen Sicherheit einsetzen.

Die Bundesregierung sollte sich nachdrücklich für einen qualitativen Sprung in der Verzahnung von EU und NATO einsetzen. Das politische Fenster für große Veränderungen schließt sich im Sommer 2022: Bis dahin wollen EU und NATO ihre strategischen Grundlagen neu definieren. Deutschland sollte sich für eine möglichst kohärente Analyse der Lage und Zukunft der europäischen Sicherheit einsetzen. Dazu sollte es die 21 Staaten, die zugleich der EU und der NATO angehören, überzeugen, die Ergebnisse, die bis dahin bei den Beratungen in der EU erzielt wurden, als gemeinsame Grundlage in den gerade beginnenden Prozess bei der NATO einzubringen. Auch das Vereinigte Königreich dürfte dieses Kohärenzziel unterstützen.

  • Aufbauend auf ihrer gemeinsamen Analyse sollten die Stäbe von EU und NATO gemeinsam definieren, welches Niveau von Fähigkeiten in Europa erreicht werden muss, um das gesamte Konfliktspektrum (mit Ausnahme der nuklearen Abschreckung) abzudecken. Zu diesem Ambitionsniveau leisten sowohl die EU, die NATO als auch die Mitgliedsstaaten individuell ihren Beitrag.
  • Die militärischen Beiträge der Europäer zum Ambitionsniveau (und damit der europäische Pfeiler in der NATO) sollten über eine European Joint Force (EJF) einen sichtbaren politischen, militärischen und technologischen Kristallisationspunkt erhalten. Die EJF sollte 50 Prozent der konventionellen Fähigkeiten bereitstellen, die für die kollektive Verteidigung in Europa und das militärische Krisenma nagement erforderlich sind. Damit wird automatisch auch die Handlungsfähigkeit der EU gestärkt, denn die nationalen Streitkräfte stehen sowohl der EU als auch der NATO zur Verfügung.

Die Vorschläge beginnen und enden beim Kommiss. Die EU soll eine riesige gemeinsame konventionelle Streitmacht aufstellen. Dabei ist es noch nicht einmal gelungen, den Vorschlag einiger SPD-MdBs, eine „28. Europäische Armee“ mit ein paar 1000 Mann+Frau neben all den nationalen Streitkräften zu schaffen1, in den Rang eines Gegenstanstandes ernsthafter Diskussionen zu heben. Hat sich vielmehr niemand für interessiert.

  • Zur Umsetzung der gemeinsamen Zielvorstellung sollen der NATO-Planungsprozessund die EU-Kooperationsinstrumente CARD (Coordinated Annual Review on Defence), PESCO (Permanent Structured Cooperation) und EVF (Europäischer Verteidigungsfonds) beitragen. ….

Es folgen vielerlei organisations- und bürokratietechnische Ratschläge, die allesamt die politischen Probleme innerhalb der EU und im Verhätlnis von EU und USA samt Nato noch nicht mal tangieren.

2 Planungssicherheit und Mittelverwendung verbessern

In Deutschland ist die Diskussion um die angemessene Finanzierung von Sicherheit und Verteidigung auf den Streit reduziert, ob das Zwei-Prozent-Ziel der NATO sinnvoll ist. Deutschland hat dessen Erfüllung wiederholt zugesagt, bleibt aber weit davon entfernt. Auch im Rahmen der EU hat Deutschland eine kontinuierliche Steigerung seiner Verteidigungsausgaben versprochen.

Der einseitige Fokus auf Ausgabensteigerungen – und hier vor allem für militärische Mittel – ist mit Blick auf das erweiterte Bedrohungsspektrum allerdings nicht mehr angemessen. Trotzdem darf die Bundesregierung nicht den Verdacht aufkommen lassen, sie betone nur deswegen die Notwendigkeit einer größeren Effizienz der Ausgaben und die Einbeziehung nicht-militärischer Bereiche von Sicherheit, weil sie sich weiter hin vor Zahlungen drücken und Trittbrettfahrer der USA und anderer NATO-Länder bleiben wolle.

Die deutschen Rüstungsausgaben sind von 2014 (Erfindung der russischen Bedrohung) bis 2020 von 39,9 Mrd Euro auf 52,8 Mrd Euro gestiegen, also innerhalb von fünt Jahren um ein Drittel. Aber irgendwie gibt es den Eindruck, sie wolle sich sich weiter hin vor Zahlungen drücken und Trittbrettfahrer der USA und anderer NATO-Länder bleiben. Und diesen frei fantasierten Eindruck benutzen unsere Ratgeber auch noch als Argument.

Hinzu kommt ein interner Organisationsaspekt: Auch wenn Deutschland seine Verteidigungsausgaben stetig erhöht, passieren diese Steigerungen kurzfristig und sind oft nur für das nächste Jahr gesichert. Die Bundeswehr kann dieses Geld nicht sinnvoll in langfristige Projekte investieren, wenn sie nicht weiß, ob für die gesamte Laufzeit des Projektes die erforderlichen Mittel verfügbar sind. Die Frage der angemessenen Finanzierung hat also mindestens zwei Dimensionen: ob Deutschlands NATO- und EU-Zusagen verlässlich sind, Berlin also Wort hält; und ob die Bundeswehr verlässlich planen kann. Die derzeitige Finanzierung stellt beides in Frage. …

  • Um bei ihren Verbündeten glaubwürdig zu sein, sollte Deutschland am Zwei-Prozent-Ziel der NATO festhalten und deutlich machen, dass es die Vorgaben bis 2024 erfüllen wird. Gelingt dies, vergrößert die höhere Glaubwürdigkeit auch den Einfluss Deutschlands in der NATO. Die neue Bundesregierung kann dies nutzen, um für eine Überarbeitung der Ausgabenmetrik und -bereiche zu werben. …
  • Darüber hinaus kann der Bundestag mit einem Bundeswehrplanungsgesetz Planungssicherheit schaffen und so die Effizienz der eingesetzten Steuergelder steigern. Ein Planungsgesetz sollte festschreiben, dass langfristige Projekte, über deren Notwendigkeit Konsens besteht, über einen längeren Zeitraum (fünf bis zehn Jahre) finanziert werden. Welche Projekte dies sind, legt der Bundestag fest.
  • Weil es in der Bundeswehr jedoch auch an vielen kleinen Anschaffungen fehlt, die es nie auf Prioritätslisten schaffen, aber im Ernstfall fehlen, sollte der Bundestag zudem eine Vollausstattungsinitiative für vier Jahre starten und finanziell hinterlegen. Dies würde auf das Zwei-Prozent-Ziel der NATO angerechnet und rasch die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr verbessern.

Gerüchten über mangelhafte deutsche Rüstung ist aber nachzukommen. Denn mit diesem Gehorsam gegenüber den USA und ihren Mitstreitern erweitert Deutschland seinen Einfluss in der Nato. Gehorsam schafft Einfluss? Muss man sich vielleicht so vorstellen, wie bei den us-amerikanischen Defender-Übungen in Europa: Deutschland schafft die Voraussetzungen für die Truppentransporte, im Gegenzug darf es mit der Deutschen Bahn den Fahrplan auf der Schiene absprechen, ist ja auch mehr Mitsprache.

Dazu kommt ein Bundeswehrplanungsgesetz: Die Demokratie, auch die parlamentarische, ist eine zu unsichere Basis für militärische Aufrüstung. Deshalb muss der Bundestag sich teils selbst seine Hoheit über die Finanzen des Bundes einschränken.

3 Nukleare Ordnung, Abschreckung und Rüstungskontrolle mitgestalten

Die Bedeutung von Nuklearwaffen steigt weltweit, und gleichzeitig wächst die Komplexität der nuklearen Ordnung. Neue Akteure sind hinzugetreten. Zudem sind nukleare und konventionelle Fähigkeiten zunehmend mit neuen Technologien verwoben. Diese Entwicklung birgt erhebliche Unsicherheiten, insbesondere wenn neuartige konventionelle Fähigkeiten mit modernisierten Atomwaffen kombiniert werden.

Ein neues Wort „nukleare Ordnung“.

Erschwert wird die Situation durch die zunehmende Schwächung der Rüstungskontrolle. Das Ende des INF-Vertrags über landgestützte Mittelstreckenraketen, die Unsicherheiten über die langfristige Zukunft des Vertrags über strategische Atomwaffen (New START) und die Aushöhlung des Atomwaffensperrvertrags erhöht das Risiko von Fehlkalkulationen. Die rasche nukleare Aufrüstung Chinas, das bisher wenig Bereitschaft zur Rüstungskontrolle zeigt, vergrößert das Problem. Abrüstungsvorschläge wie der Kernwaffenverbotsvertrag sind aussichtsloser denn je. Sie sind gut gemeint, haben aber keine Chance auf Umsetzung, weil sie aus Sicht der Nuklearstaaten keine überzeugende Alternative für deren Sicherheitsinteressen aufzeigen. Zudem fehlt es an Verifikationsmechanismen und Garantien, dass Nuklearwaffen tatsächlich für immer abgeschafft sind.

Ja, die Situation wird kritischer. Aber, wie auch sonst, eine einäugige Analyse. Die Entwicklung einer Atomwaffe für das Gefechtsfeld durch die USA2 hat vermutlich gar nicht stattgefunden. Die Bedeutung des Kernwaffenverbotsvertrag für Rüstungskontrolle wird unterschätzt.

Deutschland muss aktiv zur kollektiven Sicherheit beitragen und am NATO-Grundsatz der nuklearen Abschreckung festhalten.

Deutschland verfügt nicht über eigene Nuklearwaffen. Für die nukleare Abschreckung hängt es von der NATO und den Beiträgen der USA, Frankreich und Großbritannien ab. Damit kann Deutschland weder die Bedingungen für nukleare Abschreckung noch die für Rüstungskontrolle und Abrüstung direkt bestimmen. Die wesentliche Voraussetzung für beides, gesicherte Abschreckung und Abrüstung, ist die europäische und transatlantische Einigkeit in der NATO.

Muss denn jemand „abgeschreckt“ werden? Kommt sonst jemand?

Die NATO sieht sich inzwischen mit zwei miteinander verbundenen nuklearen Räumen konfrontiert: dem euro-atlantischen Raum, der durch das stetig wachsende Nukleararsenal Russlands bedroht wird, und dem asiatischen, in dem China Anspruch auf geopolitische Dominanz erhebt. Strategische Stabilität kann nur im Dreieck USA-China-Russland definiert werden, wobei die europäische Mitsprache eng begrenzt ist. Das russische Nuklearwaffenarsenal, insbesondere im Bereich der Mittelstreckenraketen, ist primär ein europäisches Problem, das chinesische primär ein US-Problem.

Das hätte man anders haben können: Durch ein Europäisches Sicherheitssystem auf der Basis der „Charta von Paris“. Man wollte aber nicht, man wollte die Nato-Osterweiterung. Nun beklagt man zwar die vorhergesagten Folgen3, will aber den eingeschlagenen Weg weiter gehen. Der Westen hat damit gleich Konfrontationen: Mit Russland und mit China. Und das mit einem Militär, das mit den Taliban nicht fertig wird. – Eine Selbstüberschätzung von letztlich unvorstellbaren Ausmaßen mit möglicherweise den fürchterlichsten denkbaren Folgen.

  • Deutschland sollte in der nächsten Legislaturperiode bei seinen NATO-Verbündeten für eine Abrüstungsinitiative für nukleare Mittelstreckenraketen in Europa zu Wasser, zu Lande und in der Luft werben. Diese Waffenklasse sollte deshalb im Zentrum stehen, weil ihr Überraschungspotenzial Europa unter Druck setzt und sie bereits in Friedenszeiten geeignet ist, die Europäer zu erpressen. Wenn Russla nd die unter Bruch des INF-Vertrages entwickelten und eingeführten nuklearfähigen Mittelstreckenraketen abrüstet, könnten die NATO-Staaten anbieten, keine konventionellen Lenkwaffen in Europa zu stationieren, die russische Raketenanlagen und Kommandostellen treffen könnten.
  • Dass Russland den INF-Vertrag gebrochen haben soll, Russland bestreitet das, haben die USA nie öffentlich nachvollziehbar gezeigt. Man muss das den US-Militärs glauben. Warum sollte man das tun? Warum sollte sich Russland auf dieser Basis auf Verhandlungen einlassen?

  • Eine Chance auf Gehör wird die neue Bundesregierung allerdings nur haben, wenn sie glaubhaft machen kann, dass sie der gemeinsamen und gleichen Sicherheit für alle NATO-Staaten absoluten Vorrang gibt. Unilaterale Initiativen verbieten sich. Deutschland muss aktiv zur kollektiven Sicherheit beitragen und am NATO-Grundsatz der nuklearen Abschreckung festhalten. Solange diese über nukleare Teilhabe organisiert wird, sollte Deutschland die ihm dabei zukommende Rolle zuverlässig ausüben. Dazu gehört einerseits, in Deutschland die Herausforderungen der nuklearen Ordnung zu benennen, die Kosten und den Nutzen nuklearer Abschreckung für Deutschland transparent zu machen und mögliche Veränderungen, etwa durch neue US-Nukleardoktrinen, vorausschauend mitzudenken. Andererseits bedeutet das aber auch die Stationierung von US-Atombomben auf deutschem Boden sowie die Bereitstellung von konventionellen Kampfflu gzeugen, die für den Transport dieser Nuklearwaffen zertifiziert sind. Aus politischen und technischen Gründen sollte die neue Generation dieser Kampfflugzeuge in den USA beschafft oder geleast werden. So wären sie auch bei einer Änderung der nuklearen Abschreckung, etwa infolge einer veränderten US- Doktrin, von militärischem Wert.
  • Die übliche realitätferne Diskussion, die unsere Ratgeber hier bieten. Man erinnere sich daran, wie die „Nukleare Teilhabe“ zustande kam:

    Wie ist es zur „Nuklearen Teilhabe“ gekommen?

    Bei ihrem Treffen in Camp David 1959 hatten Eisenhower und Chruschtschow beschlossen, ihren jeweiligen Verbündeten keine Atomwaffen zur Verfügung zu stellen, die USA nicht den Deutschen und die UdSSR nicht den Chinesen4.

    Adenauer hatte 1957 damit gedroht, die Nato platzen zu lassen, wenn die Bundeswehr keine (eigenen!) Atomwaffen bekommt. Die Führung der Bundeswehr forderte 1960 die Ausrüstung der Bw mit (eigenen!) Atomwaffen. Weil die USA das nicht wollten, lancierte sie die Idee einer Nato als multilateraler, integrierter Vierter Atommacht. Der damalige Minister Strauß verlangte Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrecht über Regeln der Lagerung, der Freigabe und des Einsatzes von A-Waffen[Fußnote 14]. Die anderen Nato-Staaten lehnten durch die Bank ab. Die MLF scheiterte, schlicht, weil die anderen Nato-Staaten Deutschland nicht trauten. Das Projekt wurde endgültig abgeblasen. Wesentlich dafür war neben der Konkurrenz in der Nato die scharfe Ablehnung durch die Sowjetunion. PM Harold Wilson im 23.11.64 im Unterhaus:

    „Das ist die Frage, ob eine gemischt bemannte (atomar bewaffnete; HL) Überwasserflotte dazu führt, dass Deutschland einen Finger an den Abzug | bekommt. Der [jetzige] Außenminister und ich haben bei unserem diesjährigen Besuch in Moskau versucht, die sowjetische Befürchtung Befürchtung zu zerstreue, das der Vorschlag in seiner jetzigen Form tatsächlich bedeute, dass Deutschland einen Finger an den Abzug bekommt. … Ich hatte schon immer den Verdacht, das die sowjetischen Befürchtungen sich nicht so sehr auf auf den gegenwärtigen Vorschlag beziehen als vielmehr auf - gelegentlich erörterte - Möglichkeit, dass das amerikanische Veto durch ein System der Mehrheitsentscheidungen ersetzt werden könnte, bei dem es möglich würde, einen amerikanischen Widerstand gegen einen Einsatz der Bombe zu überstimmen. Ein solche Möglichkeit lehnen wir unwiderruflich ab.“

    Mit anderen Worten: Großbritannien akzeptierte ein Veto-Recht der UdSSR gegen jede deutsche Verfügung oder auch nur irgendwie relevante Mitsprache-Beteiligung in Sachen A-Waffen, wie die USA es im Kern schon vorher gemacht hatten und danach wieder machten. Sie stellten jede Arbeit an diesem Projekt ab 1964 ein. Aber man konnte Deutschland nicht hängen lassen, zu sehr hatte es sich aus dem Fenster gelehnt. Man schuf die „Nukleare Teilhabe“ als Simulation von Teilhabe.

    Die UdSSR akzeptierte die Nukleare Teilhabe, anders als das MLF-Projekt, auch beim Nichtverbreitungsvertrag und beim 2+4-Vertrag, weil sie die Bedeutungslosigkeit der Nuklearen Teilhabe unterstellte.

    Wenn eine deutsche Regierung jetzt dennoch daran festhalten sollte, kann es nur den Sinn haben, aus dieser Teilhabe doch noch irgendwann mal was machen zu wollen, nachdem man es statt der UdSSR mit dem schwächeren Russland zu tun, dafür sprechen die immer wieder auftauchenden Diskussionen über strategische Souveränität, die nun mal ohne irgendeine Verfügung über Atomwaffen, gemeinsam mit den oder anstelle der USA, zusammen mit Frankreich oder wie auch immer, nicht zu haben ist. Man will behalten, um mal mehr zu bekommen, als man jetzt hat.

  • Wichtig für die nukleare Ordnung und Abschreckung in Europa sind auch die europäischen Atommächte Frankreich und Großbritannien. Deutschland sollte der Einladung Frankreichs zu einem strategischen Dialog über die Rolle der nuklearen Abschreckung in Europa und Frankreichs Beitrag dazu folgen. Dabei sollte es aber darauf hinwirken, dass nicht Frankreich allein, sondern die europäischen Staaten gemeinsam die Prozesse und Inhalte eines solchen Dialogs definieren. Die Vereinbarkeit mit der NATO muss gewährleistet bleiben. Zu den weiteren gemeinsamen Themen, bei denen auch das Vereinigte Königreich einbezogen werden sollte, könnte die Frage gehören, was Europa dazu beitragen kann, das Risiko von konventionellen oder nuklearen Auseinandersetzungen im Indopazifik zu verringern.
  • Was hatte Präsident Macron in seiner Rede vom 07.02.2020 zur französischen Nuklearstrategie gesagt5:


    Darüber hinaus haben unsere Nuklearstreitkräfte an sich eine abschreckende Wirkung, insbesondere in Europa. Sie stärken die Sicherheit Europas durch ihre Existenz und haben in diesem Sinne eine wirklich europäische Dimension.

    In diesem Punkt ist unsere unabhängige Entscheidungsfindung voll und ganz mit unserer unerschütterlichen Solidarität mit unseren europäischen Partnern vereinbar. Unser Engagement für ihre Sicherheit und Verteidigung ist der natürliche Ausdruck unserer immer engeren Solidarität. Lassen Sie uns klar sein: Frankreichs Lebensinteressen haben jetzt eine europäische Dimension.

    In diesem Sinne möchte ich, dass sich mit unseren europäischen Partnern, die dazu bereit sind, ein strategischer Dialog über die Rolle der nuklearen Abschreckung Frankreichs für unsere kollektive Sicherheit entwickelt.

    Europäische Partner, die bereit sind, diesen Weg zu beschreiten, können mit den Übungen der französischen Abschreckungskräfte in Verbindung gebracht werden. Dieser strategische Dialog und dieser Austausch werden natürlich dazu beitragen, eine echte strategische Kultur unter den Europäern zu entwickeln.


    Man möchte mehr von Paris, als es angeboten hat. Es ist die alte Geschichte: Wenn „Europa“ mit Paris und London über eine Mitbestimmung Europas bei den französischen und britischen Atomwaffen reden soll, dürfte eine deutsche Mitsprache zumindest mit gemeint sein, eine weitere Variante des deutschen Griffs nach der Bombe. Das weiß man natürlich auch in Paris und London.

    4 Krisenprävention und Stabilisierung besser aufstellen

    Seit dem Ende des Kalten Krieges wurden Krisenprävention und Stabilisierung zu einer zentralen Aufgabe der deutschen Friedens- und Sicherheitspolitik. Doch nach insgesamt erfolgreichen Einsätzen auf dem westlichen Balkan (siehe auch Aktionsplan Westbalkan) stellt das Scheitern der westlichen Aufbaumission in Afghanistan viele Grundannahmen dieser Orientierung in Frage. Die USA hat die Ära des „State Building“ für beendet erklärt. Die neue Bundesregierung muss dem nicht folgen, aber auch sie wird Ziele und Instrumente neu bewerten müssen. Vier Elemente sind zentral: …

    In allen Vorschlägen geht es nur darum, das, was man mit dem USA gemeinsam in der Nato schon alles versemmelt hat, beim nächsten Mal besser zu machen, auch ohne die USA. Die Vorschläge sind zwar lang und breit formuliert, beschränken sich in der Sache aber auf die Forderung, über den Einsatz besser nach zu denken, ihn besser zu organisieren und ihn besser zu propagieren. Eine Kehrtwende Warum machen wir das überhaupt, wenn wir so oft scheitern? ist nicht vorgesehen. Man darf daher vermuten, dass eine Regierung, die diesen Vorschlägen folgt, wieder scheitern wird.

    5 Exportkontrolle von Rüstungsgütern und Technologie neu ordnen

    Deutschland spielt in der EU und international eine zentrale Rolle als Hersteller, Kooperationspartner und Exporteur von Rüstungsindustriegütern. Im Bereich der klassischen Rüstungsexporte wird Deutschland jedoch als unzuverlässig wahrgenommen. Trotz klarer (und restriktiver) Vorgaben sind die Entscheidungen für Exporte und Verbote und deren Grundlagen intransparent. Deutschland gefährdet damit seine eigene industriell-technologische Basis, die von Exporten abhängig ist, sowie die Kooperationsfähigkeit mit Partnern. …

    Stimmt schon: Rüstungsproduktion ist so teuer, dass sie nur mit Exporten bezahlbar wird. Deshalb:

    Deutschland muss seine Rüstungsexportpolitik sicherheitspolitisch begründen und so auch für Bürger und internationale Partner verlässlicher und nachvollziehbarer gestalten. …

    Es wird mehr Rüstungsexportpropaganda gegenüber der eigenen Bevölkerung gebraucht. Es könnte aber sein, dass die an Berichten über die Auswirkungen dieser Rüstungsexporte scheitert, s. Saudi-Arabien und Jemen.

    6 Resilienz in Deutschland, in Europa und im Bündnis stärken

    Schon längst üben andere Akteure nicht mehr nur in den engen Grenzen des Militärischen Druck auf Deutschland aus; das zeigen der Anstieg der Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen, die Manipulation der sozialen Medien und die Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit der Pandemie. Um Deutschland in solchen hybriden, vielschichtigen Konflikten schützen zu können, müssen zivile und militärische, private und staatliche Akteure von der kommunalen Ebene bis hin zu EU und NATO enger zusammenarbeiten. Gerade die Zusammenarbeit zwischen staatlicher und internationaler Ebene (EU, NATO) und die Koordination zwischen der EU und der NATO sollten weiter intensiviert werden.

    Wenn es auch nicht gelingt, solche Desinformationskampagnen zu zeigen, es reicht, ihre Existenz zu behaupten. Denn damit werden all jene aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen, die Auffassungen vertreten, die in den behaupteten Desinonformationskompagnen auch nur vorkommen könnten. Formierte Gesellschaft - formierte Öffentlichkeit, Reduktion von Demokratie.

    • Die neue Bundesregierung sollte regelmäßige Übungen und Planspiele auf allen Ebenen abhalten. Solche Übungen helfen den Teilnehmenden, Prozesse und Vorgaben zu verstehen, Grauzonenfälle zu erfassen und auf Krisenfälle vorbereitet zu sein. National und europaweit sollten mehr sektorübergreifende Übungen durchgeführt werden. Innerstaatlich sollte das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Ebenen (Kommunen-Land-Bun d) und Akteuren (zivil, militärisch, staatlich, privat) stärker geübt werden.
    • Die Institutionen, die von der Bundesregierung als kritisch für die Aufrechterhaltung des staatlichen Gemeinwesens eingestuft werden, sollten zudem einem Stress- und Funktionalitätstest unterzogen werden. Dies erlaubt, die Sicherheitsvorsorge auf den Ebenen Bund, Länder und Gemeinden zu überprüfen und zu verbessern.

    Zur Formierten Gesellschaft gehören dann auch formierte staatliche Institutionen.

    Autor: Dr. Horst Leps

    Created: 2021-10-12 Tue 14:40

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