Unter dem Radar der Öffentlichkeit, auch von der Friedensbewegung kaum
wahrgenommen, kommen aus Berlin vom Auswärtigen Amt immer wieder
Initiativen, die in die richtige Richtung weisen. Ein Beispiel:
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/abruestung-ruestungskontrolle/nvv-stockholm-initiative/2309966
Es bleibt meist unbekannt. Vielleicht liegt das daran, dass die
Regierung dann immer doch wieder jeden Unfug abnickt, der aus den USA
oder von der Nato kommt.
Zur gegenwärtigen militär- und sicherheitspolitischen Lage gehört nicht
nur, dass die gegnerischen Lager kaum noch miteinander sprechen. Es gibt
vielmehr auch keine Initiativen in diese Richtung.
Das Auswärtige Amt hat die RAND-Corporation[1] bei einer Studie zur
Erneuerung der Rüstungskontrolle im Bereich der "konventionellen" Waffen
unterstützt[2], die nun vorgelegt wurde.
Diese Studie fragt zunächst nach gegenwärtigen
Bedrohungswahrnehmungen. Dazu befragt sie Experten aus dem Nato-Bereich
und analysiert Texte russischer Politiker, Militärs und
politikwissenschaftlicher Experten. Sie stellt diese Wahrnehmungen
gegeneinander und analysiert sie auf ihre militärischen
Implikationen. Um diese Befürchtungen zu konkretisieren, erstellen die
Autoren der RAND-Corporation Konfliktszenarios: Wie könnte ein Krieg um
Kaliningrad/Suwalki beginnen? Danach befragen sie
Rüstungskontrollexperten sowohl aus dem Nato-Bereich als auch aus
Russland, welche Maßnahmen militärische Zusammenstöße verhindern oder
auch nur verlangsamen können.
Nun wäre es interessant zu sehen, wie diese Studie in Deutschland
rezipiert wird. Im Bundestag beschäftigt man sich mit diesem Thema
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw20-pa-abruestung-641164. Und
wie werden diese Vorschläge in Russland aufgenommen?
Vielleicht sind in den Vorschlägen irgendwelche Haken eingebaut, die der
militärische Laie nicht sehen kann.
Wir bräuchten eigentlich eine populäre Fassung dieser Vorschläge. Nur:
Wer schreibt sie?
,----S. 57
| These experts included William Alberque, director of NATO's Arms
| Control, Disarmament and WMD Non-Proliferation Centre; Ulrich Kühn,
| head of the Arms Control and Emerging Technologies Program at the
| Institute for Peace Research and Security Policy at the University of
| Hamburg; Andrei Zagorski, director of the Department of Arms Control and
| Conflict Resolution Studies at the Primakov Institute of World Economy
| and International Relations of the Russian Academy of Sciences;
| Nicholas Williams, senior associate fellow for the European Leadership
| Network; and one Polish expert who wished to remain anonymous.
`----
Das Ergebnis ist eine recht umfangreiche
Liste von Maßnahmen.
A New Approach to Conventional Arms Control in Europe
Addressing the Security Challenges of the 21st Century
https://www.rand.org/pubs/research_reports/RR4346.html
,----Google Translate
| Über 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges sind die militärischen
| Spannungen nach Europa zurückgekehrt. Sowohl die Organisation des
| Nordatlantikvertrags (NATO) als auch Russland verstärken ihre Einsätze
| in unmittelbarer Nähe zueinander und in mehreren Bereichen. Gleichzeitig
| wurde eine Vielzahl neuer oder dramatisch verbesserter konventioneller
| Funktionen eingesetzt, die ein erhebliches Maß an Unsicherheit in die
| Sicherheitsumgebung einbringen. In der Zwischenzeit befinden sich die
| politischen und militärisch-militärischen Beziehungen auf einem
| Tiefpunkt nach dem Kalten Krieg, wobei die Kommunikation die Ausnahme
| und nicht die Norm darstellt und die Struktur der Interaktion, die durch
| Rüstungskontrolle, Vertrauen und sicherheitsbildende Maßnahmen entsteht,
| fast vollständig zusammengebrochen ist.
|
| In einer Kombination aus Interviews, Workshops und strukturierten
| Analysen zu den Ursachen potenzieller Konflikte skizzieren die Autoren
| dieses Berichts neue konventionelle Maßnahmen zur Rüstungskontrolle
| (CAC), um das Konfliktrisiko in Europa zu senken. Obwohl es einst als
| Eckpfeiler der europäischen Sicherheit diente, ist das derzeitige
| regionale CAC-Regime veraltet und für die heutigen Herausforderungen
| weitgehend irrelevant. Anstatt mit den bestehenden Vereinbarungen zu
| beginnen, beginnen die Autoren mit einer Untersuchung der Katalysatoren
| möglicher Konflikte und entwickeln auf dieser Grundlage Optionen für die
| Rüstungskontrollpolitik. Wie können bestimmte Änderungen in Verhalten,
| Haltung, Präsenz, Technologie oder Fähigkeiten - und unterschiedliche
| Wahrnehmungen davon - Konflikte auslösen? Welche Fähigkeiten oder
| Kombinationen von Fähigkeiten destabilisieren und warum? Und mit welchen
| CAC-Maßnahmen könnten diese Risiken angegangen werden? Die Autoren
| verwenden die Antworten auf diese Fragen, um ein Menü mit Optionen für
| ein neues CAC-Regime vorzuschlagen, das die regionalen
| Sicherheitsherausforderungen des 21. Jahrhunderts angehen könnte.
|
| Wichtigste Ergebnisse
|
| Die Wege zu bewaffneten Konflikten in Europa sind anders und
| vielfältiger als zu dem Zeitpunkt, als das derzeitige CAC-Regime
| entworfen wurde
|
| - CAC-Maßnahmen, die auf einer Analyse der Wege zu bewaffneten
| Konflikten beruhen, können identifiziert werden. Wenn diese Maßnahmen
| umgesetzt werden, könnten sie erhebliche positive Auswirkungen auf die
| europäische Sicherheit haben.
|
| - Zu den militärischen Triebkräften eines möglichen Konflikts zwischen
| Russland und der NATO gehören militärische Aktivitäten oder Übungen an
| strategisch sensiblen Orten. erhöhte Bereitschaft; Anhäufung von
| Kräften; Verstöße (oder wahrgenommene Verstöße) gegen den Luftraum oder
| die Seegrenzen; Nähe von Kräften oder Fähigkeiten;
| Langstreckenstreikeinsätze; und Bedrohungen für gefährdete
| Kommunikationswege.
|
| - Innovative CAC-Maßnahmen könnten diese Treiber ansprechen und so die
| Warn- und Entscheidungszeit verlängern, Überraschungsangriffe erschweren
| und die allgemeinen Spannungen verringern.
|
| - Eine CAC-Vereinbarung, die solche Maßnahmen enthält, würde das
| Konfliktrisiko durch Missverständnisse und Fehlkalkulationen verringern.
|
| - Jede künftige CAC-Verhandlung würde verschiedene politische
| Überlegungen hervorrufen, einschließlich des Verhältnisses einer
| möglichen neuen Vereinbarung zum bestehenden Regime.
`----
https://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/research_reports/RR4300/RR4346/RAND_RR4346.pdf
Die Studie zeigt auf 10 Seiten 14 Gruppen von Maßnahmen. Hier ist nur
die erste Gruppe wiedergegeben[3]
,----Google Translate S. 58ff
| Beschreibung möglicher Maßnahmen
| 1. Militärische Aktivitäten, einschließlich Einsätze, strategisch
| sensible Orte:
|
| (a) Einschränkungen für permanent stationierte Streitkräfte oder
| Infrastrukturen (einschließlich Lagerstätten) an den ausgewiesenen
| sensiblen Standorten. Diese Einschränkungen können sich auf die absolute
| Anzahl von Truppen oder bestimmte Arten von Ausrüstung beziehen -
| vermutlich basierend auf dem, was bei einem grenzüberschreitenden
| Angriff verwendet werden könnte - oder speziell auf die
| Gegenkonzentration in sensiblen Gebieten, insbesondere in Grenznähe,
| ausgerichtet sein. ... Um grenzüberschreitende Operationen zu
| erschweren, könnten die Anzahl der Starrflügelflugzeuge,
| Kampfhubschrauber und Kampffahrzeuge oder bodengestützte
| Kurzstreckenraketen begrenzt werden.
|
| i. Begrenzung der Arten von Einheiten oder Anzahl von Bestimmte
| Einheiten dürfen dauerhaft in sensiblen Einheiten stationiert sein
| Standorte. Zum Beispiel könnten Kräfte mit hoher Bereitschaft begrenzt
| werden oder an solchen Orten verboten.
|
| (b) Verbote oder Beschränkungen für dauerhafte Bereitstellung von
| Infrastrukturen, die für Überraschungsangriffe erforderlich sind,
| z. B. taktische Tanker, Luftverteidigung, Kampfbrücken oder
| EW-Fähigkeiten1 innerhalb der Zone. Anstatt die Anzahl der Geräte oder
| Kräfte zu begrenzen, würden diese Maßnahmen die Fähigkeit erschweren,
| grenzüberschreitende Operationen durchzuführen Größe ohne Vorwarnung.
|
| (c) Einschränkungen bei der Einrichtung von Infrastrukturen und
| verwandten Fähigkeiten, die für Überraschungsangriffe erforderlich sind
| oder für grenzüberschreitende Operationen innerhalb der Zone. Zum
| Beispiel in der ZoneÜ Schwertransporter dürfen nicht dauerhaft sein mit
| Panzern stationiert sein. Eine solche Maßnahme würde die Fähigkeit dazu
| verringern, die Panzer schnell vorwärts einzusetzen, ohne ihre
| Fähigkeit zur Defensive zu verringern.
|
| (d) Einschränkungen bei der Einsatzfähigkeit bestimmter Einheiten zur
| Minimierung der Offensivfähigkeit permanent stationierter Kräfte
| innerhalb der Zone. Zum Beispiel die Anzahl der Wartungseinrichtungen,
| die permanent mit einer Manövereinheit in der Zone verbunden sind,
| könnten begrenzt werden. Ebenso könnte die Anzahl der
| Artillerie-Bataillone zur Unterstützung von Manövereinheit begrenzt
| sein.
|
| (e) Größenbeschränkungen für temporäre zusätzliche Bereitstellungen an
| sensiblen Standorten. Diese Maßnahmen würden die Größe von Einsätzen
| über eine vereinbarte Basislinie für einen bestimmten sensiblen Standort
| hinaus verhindern oder begrenzen, um eine Konzentration von Kräften dort
| zu verhindern.
|
| (f) Anstelle von Einschränkungen könnte eine Maßnahme aus Zusagen
| hinsichtlich der Größe oder Art potenzieller künftiger Einsätze in dem
| sensiblen Bereich bestehen. Beispielsweise könnten sich Staaten dazu
| verpflichten, nicht mehr als eine bestimmte Anzahl einer bestimmten
| Ausrüstungskategorie in der Zone einzusetzen.
|
| (g) Einschränkungen auf Aktivitäten außerhalb der Garnison von permanent
| stationierten Streitkräften innerhalb der empfindliche Bereich. Um
| Überraschungsangriffe zu erschweren, werden die Kräfte Zum Beispiel
| könnte eine permanente Stationierung innerhalb des ausgewiesenen
| Bereichs möglich sein daran gehindert werden, sich über einen bestimmten
| Radius hinaus zu bewegen (mit Ausnahmen) für Rotation und Training).
|
| (h) Anforderungen an Benachrichtigungsschwellenwerte für
| Bereitstellungen oder andere Aktivitäten an sensiblen
| Standorten. Zusätzlich zu den oben genannten einschränkenden Maßnahmen
| könnten die Parteien verpflichtet sein, sich gegenseitig über neue oder
| vorübergehende Einsätze in der Zone oder andere Aktivitäten im Voraus zu
| informieren. Beispielsweise könnte eine monatliche Benachrichtigung im
| Voraus erforderlich sein, bevor Einheiten vorübergehend in einem
| bestimmten Abstand von einer bestimmten Grenze stationiert werden. Diese
| Maßnahme könnte auch für bestimmte sensible Seezonen gelten.
|
| (i) Verbesserter Informationsaustausch über Kräfte, die permanent
| innerhalb des angegebenen Gebiets stationiert sind. Dazu gehören
| Einzelheiten zu Streitkräften, Ausrüstung und Verstärkungsinfrastruktur,
| einschließlich Hauptquartier und vorpositionierter Ausrüstung.
`----
Fußnote(n)
[1] Die RAND-Corporation hat auch jene Studie über die russischen Kräfte
erstellt, auf deren Grundlage dann die Defender2020-Übungen erstellt
wurden. https://www.rand.org/pubs/research_reports/RR1253.html,
https://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/research_reports/RR1200/RR1253/RAND_RR1253.pdf
Dementsprechend skeptisch schaut man sich erst einmal den neuen Text
an.
[2] Die genaue Formulierung laute: "With support from the German Federal
Foreign Office, the RAND Corporation sought to identify such a
framework." Was immer das konkret bedeutet.
[3] Zum einen, weil sonst der Text hier zu lang wäre, zum anderen weil
es womöglich urheberrechtliche Probleme geben würde, man weiß ja nie.
--
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