Montag, 11. Mai 2020

Friedenslage am 11.05.2020 (21:30:25)

Noch immer:

"Deutschland und die nukleare Teilhabe
Plädoyer für eine notwendige und ehrliche sicherheitspolitische Debatte.
Von Rolf Mützenich | 07.05.2020"

https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/deutschland-und-die-nukleare-teilhabe-4342/
Mützenich begründet seine ablehnende Haltung etwas umfassender:

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| Die SPD bekennt sich weiterhin zur Verankerung im transatlantischen
| Bündnis und sie ist auch weiterhin für die politische Teilhabe im Rahmen
| der Nuklearen Planungsgruppe – zusammen mit 25 weiteren nicht-nuklearen
| NATO-Ländern, die teilweise die Stationierung von Atomwaffen in
| Friedenszeiten auf ihrem Territorium ausgeschlossen haben. ... Wir
| fordern vielmehr vor allem neue
| Initiativen und Gespräche zur Abrüstung und Rüstungskontrolle, wie sie
| von Außenminister Heiko Maas mit großem Engagement im Rahmen der
| Vereinten Nationen und mit der „Stockholm-Initiative" bereits auf den
| Weg gebracht wurden.

Diese "Stockholm Initiative", mE ein sinnvolle Angelegenheit
https://www.tagesspiegel.de/politik/stockholm-initiative-deutschland-und-15-weitere-laender-fordern-atomare-abruestung/25582192.html
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/abruestung-ruestungskontrolle/nvv-stockholm-initiative/2309966

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| Wie kann der Nichtverbreitungsvertrag gestärkt werden, wie kann die
| nukleare Ordnung gesichert werden? Darüber beraten heute Vertreterinnen
| und Vertreter aus 16 Staaten, darunter viele Außenministerinnen und
| Außenminister, im Rahmen der Stockholm-Initiative in Berlin. Im
| vergangenen Jahr hatte Schweden die Stockholm-Initiative ins Leben
| gerufen. Sie zielt darauf ab, der nuklearen Abrüstung neue praktische
| Impulse zu geben und Brücken zwischen Nuklearwaffenstaaten und
| Nicht-Nuklearwaffenstaaten zu schlagen.
|
| Mit konkreten praktischen Empfehlungen soll nun der Vertrag gestärkt
| werden: sie reichen von der Offenlegung der Nuklearbestände über Dialog
| zu Militärdoktrinen bis hin zur Reduzierung nuklearer Arsenale.
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ist in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen worden.


| Wir sind uns darüber im Klaren, dass zur Umsetzung von Abrüstung und
| Rüstungskontrolle immer zwei Seiten gehören. Wir machen uns auch keine
| Illusionen über die russische Politik und die sicherheitspolitischen
| Gefahren und die Destabilisierung, die von ihr ausgehen. Ebenso wenig
| verschließen wir die Augen vor der russischen Aufrüstung und der großen
| Zahl von russischen taktischen Nuklearwaffen, die Europa unmittelbar
| bedrohen. Aus diesem Grunde haben wir uns seit vielen Jahren für ein
| Abrüstungsabkommen bei den taktischen Nuklearwaffen in Europa
| eingesetzt. ...

Solch ein Abkommen wäre sicher ebenfalls vernünftig.

| Wir brauchen in Deutschland und in Abstimmung mit unseren europäischen
| NATO-Partnern deshalb eine breite öffentliche Debatte über Sinn und
| Unsinn nuklearer Abschreckung und zur europäischen Fähigkeit zur
| Selbstbehauptung. Wer verschließt die Augen vor den neuen geopolitischen
| Realitäten? Diejenigen, die Abrüstungsschritte und eine Beendigung der
| technischen nuklearen Teilhabe fordern? Oder jene, die immer noch an der
| Fiktion festhalten, man habe in irgendeiner Form Einfluss auf die
| amerikanische Nuklearstrategie aufgrund der Tatsache, dass man mit
| Erlaubnis des US-Präsidenten im Kriegsfall Nuklearbomben ins Ziel
| bringen dürfe? Schon zu Zeiten des Kalten Krieges stand diese
| Argumentation auf äußerst tönernen Füßen. Heutzutage geht sie an der
| Realität vorbei.
|
| Es gibt keinen Einfluss oder gar Mitsprache von Nichtnuklearmächten auf
| die Nuklearstrategie oder gar die Einsatzoptionen von Atommächten. Dies
| ist nicht mehr als ein langbeschworener frommer Wunsch.

Jedenfalls ist kein Einfluss nachweisbar. Vielmehr dürfte der Sinn
dieser "Teilhabe" sein, dass Deutschland nur eine simulierte Teilhabe
hat, um Deutschland von eigenen Atomwaffen abzuhalten, siehe dazu
https://friedenslage.blogspot.com/2020/05/friedenslage-am-03052020-180051.html,
selbst in dem etwas wirren apologetischen Beitrag von Major+Mölling
findet sich ein Hinweis, der so gelesen werden kann.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/f-18-welchen-sinn-haben-deutsche-atombomber-a-63ccf36e-afb6-499e-97bc-c33bc9360ec6
dazu
https://friedenslage.blogspot.com/2020/05/friedenslage-am-09052020-174529.html

| Wir sollten uns in dieser Hinsicht
| ehrlich machen: Es gibt keinen Einfluss oder gar Mitsprache von
| Nichtnuklearmächten auf die Nuklearstrategie oder gar die
| Einsatzoptionen von Atommächten. Dies ist nicht mehr als ein
| langbeschworener frommer Wunsch. ...

Das ist vielleicht ja auch gut so.

| Entscheidend für die Forderung nach einem Abzug der in Deutschland
| gelagerten Atombomben ist jedoch, dass sich die Ausgangslage für
| europäische Wünsche nach Mitspracherechten beim Einsatz atomarer Waffen
| in Europa in den letzten Jahren grundlegend verändert hat. Mit der
| Nuclear Posture Review vom Februar 2018 forciert die Trump-Regierung die
| weitere Entwicklung von Mini Nukes und vertritt die Doktrin des
| frühzeitigen und flexiblen Einsatzes von kleinen Nuklearwaffen. Sie will
| in den nächsten Jahren zudem alle strategischen Systeme ersetzen,
| atomare Gefechtsköpfe mit niedriger Sprengkraft beschaffen, die
| Reichweite luftgestützter Marschflugkörper erhöhen und seegestützte
| substrategische Systeme nuklear bewaffnen, die unter Bush und Obama als
| vertrauensbildende Maßnahme abgezogen wurden.

Was Russland honorierte, zunächst jedenfalls:
https://en.wikipedia.org/wiki/9K720_Iskander#Kaliningrad_region

,----
| In November 2008, the Russian president Dmitry Medvedev in his first
| annual address to the Federal Assembly of Russia announced plans to
| deploy Iskander missiles to the Kaliningrad Oblast, Russia's
| western-most territory on the south-eastern coast of the Baltic Sea, if
| the U.S. went ahead with its European Ballistic Missile Defense
| System.[49][50] On 17 September 2009, US president Barack Obama
| announced the cancellation of the U.S. missile defense project in Poland
| and the Czech Republic.[51] The following day, Moscow indicated it might
| in turn cancel the plans to deploy Iskander missiles to Kaliningrad;[52]
| a few days later, the decision not to deploy was confirmed by
| Medvedev.[53] On 23 November 2011, President Medvedev indicated that
| Russia might deploy Iskander tactical missiles in the Kaliningrad region
| as part of Russia's reaction to the United States' reformulated missile
| defence plans in Europe.[54]
|
| In December 2013, President Vladimir Putin denied Western media
| reports[citation needed] that Russia had deployed Iskander missiles in
| the Kaliningrad Oblast.[55]
|
| According to Russian media reports,[56] in December 2014 and in March
| 2015, Russia deployed Iskander missiles to the Kaliningrad Oblast as
| part of military exercises.
|
| On 8 October 2016, the Russian military confirmed that they had moved
| Iskander-M missiles into the Kaliningrad oblast, adding the move was
| part of routine drills and had happened previously multiple times and
| would happen in future.[57] A few days after, Chairman of the Defense
| Committee of the Russian State Duma Vladimir Shamanov commented that the
| transfer of missile systems Iskander-M into the Kaliningrad region had
| been effected to counter potential threats from the U.S. missile defense
| facilities that had been stationed in Europe as well as those that might
| be stationed subsequently.[citation needed]
|
| In early February 2018, Shamanov confirmed that Russia had deployed an
| unidentified number of Iskander missiles to the Kaliningrad
| region.[58][59] Days prior, the local military commanders said that the
| "park zones" for Iskander missiles deployment had been completed in the
| Kaliningrad region, as well as in North Ossetia.[60]
`----

| Die zunehmende
| geopolitische Konkurrenz zwischen den Atomwaffenstaaten, die Entwicklung
| neuartiger Waffen, die Verkoppelung konventioneller und nuklearer
| Abschreckungspotenziale und die anhaltende Modernisierung und
| Diversifizierung von Nuklearwaffenarsenalen führen zu neuen
| Rüstungswettläufen. Sie stellen eine konkrete Bedrohung für Deutschland
| und Europa dar. ...

Nicht die Rüstungswettläufe sind das Problem einer konkreten Bedrohung,
sondern die gesteigerte Einsatzwahrscheinlichkeit: Sollen die neu zu
entwickelnden Atomwaffen doch konventionelle Schlachten entscheiden
können.

| Die Absicht, Milliarden für Anschaffung und Unterhalt von US-Flugzeugen
| auszugeben, deren einziger Zweck es ist, amerikanische Atombomben
| abzuwerfen, muss deshalb gut begründet werden. Das gilt auch dann, wenn
| sie Teil der NATO-Sicherheitsarchitektur und des Konzepts der
| Abschreckung sind. Auch wenn man der Meinung ist, die Abschreckung durch
| amerikanische Atomwaffen bleibe angesichts der neuen Bedrohungslagen
| unerlässlich, wird diese bereits durch US-Interkontinentalraketen, die
| US-Bomberflotte und die nuklear bestückte U-Bootflotte garantiert. Zudem
| ist die Stationierung von US-Soldaten in Europa und die Bereitstellung
| von Logistik und Hauptquartieren nicht nur im europäischen, sondern
| durchaus auch im amerikanischen Interesse. ...
|
| Aber auch die Friedensbewegung muss sich eingestehen, dass mit dem Abzug
| der 20 taktischen Nuklearwaffen aus Büchel nicht der Weltfrieden
| ausbricht und auch abrüstungspolitisch – außer der Symbolik eines
| atomwaffenfreien Deutschlands – nichts gewonnen ist.

Es wäre aber ein politischer, politisch-symbolischer Durchbruch.

| Angesichts von
| tausenden in Russland gelagerten taktischen Nuklearwaffen und der
| Stationierung der neuen Iskander Mittelstreckenraketen, die zur
| Kündigung des INF-Vertrages führten, ist Abrüstung und Rüstungskontrolle
| nötiger denn je.

Nun wäre es vermutlich zu viel verlangt, sollte Mützenich in solch
einem Artikel auch noch die Frage stellen, ob die Iskander-K mit dem
9M729-Marschflugkörper gegen den INF-Vertrag verstösst. Er würde damit
den Außenminister vollständig in Frage
stellen. https://de.wikipedia.org/wiki/9K720#INF-Vertrag. Aber es stimmt
schon:

| Wir brauchen einen neuen multilateralen INF-Vertrag und
| eine vollständige Abrüstung aller taktischen Nuklearwaffen.
`----



"Debatte um Atomwaffen
"Nukleare Teilhabe" ist völkerrechtswidrig
Ein Gastbeitrag von Xanthe Hall"
https://www.n-tv.de/politik/Nukleare-Teilhabe-ist-voelkerrechtswidrig-article21762953.html



Über Fehlentwicklungen amerikanischer Rüstungspolitik:
https://nationalinterest.org/blog/buzz/america-spends-trillions-nuclear-weapons-arent-useful-war-150501

,----
| Here's What You Need To Remember: We very occasionally make veiled
| threats of the combat use of nukes, we often use nukes as diplomatic
| chips, and we certainly enjoy the deterrent umbrella than the strategic
| nuclear forces provide. But the weapons themselves haven't helped us
| win a war since 1945, even then under arguable circumstances. ...
|
| The five weapons of war listed below are "overrated" in the sense that
| they occupy a larger space in the defense-security conversation than
| they really deserve. Some of them are fantastic, effective systems,
| while others are not. All of them take up more ink than they should, and
| (often) distract from more important issues of warfighting and defense
| contracting.
|
|
| Nuclear Weapons:
|
| Nuclear weapons have, in an important sense, dominated international
| diplomacy for the last six decades. What they haven't dominated is
| warfare, where they appear to be nearly useless in all
| configurations. ...
|
| Nuclear weapons have, in an important sense, dominated international
| diplomacy for the last six decades. What they haven't dominated is
| warfare, where they appear to be nearly useless in all configurations.
`----
Dieser Beitrag könnte Teil einer Ressourcen-Konkurrenz in den
US-Streitkräften sein. Falsch ist er damit trotzdem nicht. - Nutzlos
sind nach Ansicht des Autors übrigens auch bewaffnete Drohnen.


Die Debatte um die Drohnen in Deutschland:
https://augengeradeaus.net/2020/05/dokumentation-drohnendebatte-im-bmvg/t
https://www.bmvg.de/de/debatte-bewaffnete-drohnen



"Wolfgang Richter
Nukleare Rüstungskontrolle in Gefahr
Der neue Rüstungswettlauf und die Erosion der Rüstungskontrolle
unterminieren die strategische Stabilität"
https://www.swp-berlin.org/publikation/nukleare-ruestungskontrolle-in-gefahr/
Wolfgang Richter, wie immer lesenswert


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