Mittwoch, 3. Juli 2024

Friedenslage am 03.07.2024 (16:17:24)

Der Geist in der Truppe.

„Zeitenwende an der NATO-Ostflanke – wird jeder Zentimeter verteidigt?"
https://x.com/QuandtStefan/status/1807481696691867704
Von einem Angehörigen der Bw veröffentlicht. Dürfte stimmen. Der Anlass ist
nicht genau erkennbar. Der Text zeigt ein politisch-militärisches Denken, wie es
sich, darf man annehmen, wohl öfter in der militärischen Führung der Bw findet.

Ich versuche mal, den Gedankengang zu rekonstruieren, ihn ins Praktische zu
übersetzen. Das Ergebnis zeigt, wie das Verhältnis von Politik und Militär
gedacht wird.

,----
| ... weder bin ich ein Orakel, noch befinde ich mich in der Wüste -
| sondern bleibe der Kultur des ungeschönten und begründeten militärischen
| Ratschlags treu - eine Kultur, die wir dringend wiederbeleben müssen.

Dass Militärs Politik beraten, ist weder neu noch etwas Besonderes. Sandrart
spricht jedoch von einer „Kultur des ungeschönten ... militärischen
Ratschlags". Also gibt es auch einen geschönten Ratschlag. Und wenn die Kultur
des Ungeschöntheiten wiederbelebt werden muss, dann dominiert jetzt der
geschönte Ratschlag. Und ein geschönter Ratschlag ist natürlich ein falscher
Rat, ein schlechter Ratschlag. Bisher ist als die Politik in Deutschland
schlechten Ratschlägen gefolgt. Nun kommt ein General und macht richtige
Ratschläge, die aber nur dann als richtige richtig eingeschätzt werden, wenn sie
auch richtig befolgt werden.

Ein richtiger Ratschlag muss auch ein verständlicher sein. Denn sonst kann er ja
nicht angenommene werden.

Aber schon hier: Da der General sprachlich nicht zwischen einem Rat, dem man
jemandem gibt, und Ratschlag, zu dem man sich versammelt, unterscheiden kann,
mit schlechter Sprach vermutlich auch schlechtem Rat liefert, kann schon hier
vermutet werden.

|
| Als Kommandeur des MNC-NE ist mein Auftrag die Verteidigung und Abschreckung an
| der Nordostflanke der NATO. Das bedeutet im Kern, die territoriale
| Unversehrtheit unserer Alliierten Estland, Lettland, Litauen und Nord-Polen im
| Falle eines RUS Angriffs zu gewährleisten. Ich lade Sie nun ein, sich selber ein
| Bild davon zu machen, welche Reichweite dieser Auftrag eigentlich hat. ...
|
| Der Großteil von Ihnen dürfte mit der Karte der UKR und den durch RUS
| völkerrechtswidrig besetzten Gebieten im Osten, einschl. der Halbinsel Krim,
| vertraut sein. Nun stellen Sie sich die Fläche vor, die RUS in der UKR
| völkerrechtswidrig unter Kontrolle gebracht hat. Nehmen wir diese Fläche und
| übertragen Sie 1:1 auf die Länder meines Verantwortungsbereichs, dann sehen wir:
|
| VILNIUS und KAUNAS lägen in Feindeshand; KALININGRAD OBLAST wäre an das
| russische Einflussgebiet angeschlossen und die baltischen Staaten wären
| landseitig von Zentraleuropa abgeschnitten; Die Balten hätten nahezu 60% ihres
| territorialen Gebiets an Russland verloren und wären von Russland und Belarus
| eingeschlossen. ...
|
| Was bedeutet das für uns?
|
| Es bedeutet, dass die Aussage „We defend every inch of NATO territory" kein
| Lippenbekenntnis sein darf- das schulden wir den Menschen, mit denen wir durch
| Artikel 5 der NATO untrennbar verbunden sind. Was eigentlich eine
| Selbstverständlichkeit sein sollte, hat aber weitreichende Konsequenzen. ...

Sandrart nimmt die politische Formulierung, es gelte, jeden Centimeter des
Nato-Gebiets zu verteidigen - eine Forderung, die keineswegs aus Art. 5 des
Nato-Vertrags folgt -

,----
| Artikel 5
| Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere
| von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen
| werden wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten
| Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten
| Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven
| Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden,
| Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im
| Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der
| Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die
| Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.

Die Reihenfolge heißt: 1. Wiederherstellen und 2. erhalten.

`----

als den Auftrag, von vornherein die territoriale Integrität zu erhalten, damit
sie nicht wieder hergestellt werden muss:

|
| Zudem sehen wir in der Ukraine, dass eine sogenannte „Restore Operation", in
| deren Rahmen verlorene Gebiete zurückerobert werden müssen, ein weitaus höheres
| Kräfteaufgebot benötigen, als zuvor gedacht - mit den bereits beschriebenen
| Implikationen für jedes Lebewesen, dass sich noch in diesen Gebieten
| aufhält. Aus dieser Erkenntnis folgert sich unser heutiges Verständnis von
| Verteidigung: Das Bewahren der territorialen Integrität unserer Alliierten und
| damit unserer Integrität. ...
|
|
| Als Offizier der Panzertruppe sind mir Feuer und Bewegung über Jahre ins Blut
| übergegangen. Doch auf welchem Territorium kämpfe ich, welchen Raum für einen
| „maneuverist approach" kann und darf ich nutzen, um erfolgreich zu verteidigen,
| den Gegner zu schlagen und den Raum zu halten, wenn ich keinen Zentimeter meines
| Territoriums aufgeben darf? Ist diese politische Implikation dieses „einzelnen
| Zentimeters" in seiner Konsequenz zu Ende gedacht worden, wenn er so einfach
| über die Lippen geht? Wir, Politik und Gesellschaft müssen auf diese unbequemen
| Fragen Antworten parat haben.

Die politische Konsequenz dieses militärisch umgedeuteten Art. 5 heißt: Alles
dafür tun, dass der Krieg außerhalb des eigenen Bereichs stattfindet. Die
Politik muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die gemeinsame Nato-Armee,
angefangen am ersten Tag des Kriegs, auf russischem und/oder belorussischem
Boden kämpft.

|
| Wieder können wir auf die Ukraine schauen: Die Bundesregierung hat in Abstimmung
| mit den engsten Partnern beschlossen, der Ukraine im Verteidigungskampf um
| Charkiw einen Einsatz der abgegebenen Waffen auch auf russisches Territorium zu
| erlauben. Das war eine aus meiner Sicht richtige und notwendige
| Entscheidung. Gleichzeitig folgere ich für mich daraus: Diese politischen
| Diskussionen müssen für meinen Verantwortungsbereich geführt werden, noch bevor
| der erste Schuss fällt. Ist es mein Auftrag, jeden Zentimeter zu verteidigen,
| dann brauche ich vor allem eines: Handlungssicherheit - sowohl politisch als
| auch militärisch.

Der Krieg muss also mit allen Mitteln von Anfang an militärisch offensiv geführt
werden, geführt werden können.

|
| Denn eine Verteidigung der Nordostflanke/ -front unterscheidet sich in allem von
| den unseren Streitkräften und Gesellschaften bekannten Kriegsszenarien des
| Internationalen Krisen- und Konfliktmanagements. Im Kern unterscheidet sie sich
| darin, dass wir keinen „War of Choice" mehr führen können. Stehe ich heute mit
| Truppen in der Verteidigungsstellung, dann kann, dann darf und dann wird es
| keine „caveats" geben - full stop! ...
|
| Wir befinden uns bereits heute in einer Lage, die sich mit „Frieden" nicht mehr
| beschreiben lässt. Gleichzeitig sind wir auch nicht im Krieg. ...

Aber eigentlich sind wir doch schon im Krieg: Die Politik hat sich nach den
Militärs zu richten.

|
| Unter den heutigen Herausforderungen betrifft jeder Zentimeter im Baltikum und
| Nordpolen uns alle. Wird jeder Zentimeter verteidigt? Das kommt darauf an, ob
| wir Soldatinnen und Soldaten wissen, dass unser Rückwärtiger Raum vorbereitet
| ist auf das, was kommt. No one can lean back!
`----

Die Vorbereitung dieses Kriegs setzt voraus, dass die Politik sich den
Vorstellungen der Militärs unterwirft. Alle Instutionen können erhalten bleiben,
ihre politisch-praktische Bedeutung wird geändert. Demokratie wird
eingeschränkt.

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