Samstag, 20. Juli 2024

Friedenslage am 20.07.2024 (18:27:57)

Die offizielle Begründung, an der die Kritik sich abarbeiten muss:

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Matthias Gebauer
@gebauerspon
Chief Correspondent DER SPIEGEL / Germany
https://x.com/gebauerspon/status/1814582546417459618

Berlin, 19. Juli 2024

Sehr geehrte Vorsitzende,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

mit diesem Schreiben möchten wir Sie über den Hintergrund der jüngsten
gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und
der Bundesrepublik Deutschland zur Stationierung weitreichender konventioneller
Waffensysteme in Deutschland informieren.

Russland hat in den vergangenen Jahren massiv im Bereich weitreichender Raketen
und Marschflugkörper aufgerüstet. Das umfasst sowohl konventionelle, als auch
nuklearfähige (dual-use) und nukleare Systeme. Diese Aufrüstung hat die
Bundesregierung mehrfach auch öffentlich thematisiert und Russland zu einer
Umkehr von diesen eskalatorischen Maßnahmen aufgefordert. Die Aufrüstung durch
landgestützte Flugkörper mittlerer Reichweite wurde von Russland dabei unter
Bruch des INF-Vertrags (Intermediate Nuclear Forces Treaty / deutsch: Vertrag
über nukleare Mittelstreckensysteme) vorangetrieben, was zum Ende des
INF-Vertrags geführt hat. In den letzten Jahren hat Russland diese Aktivitäten
noch einmal beträchtlich beschleunigt. Wir beobachten, dass Art und Umfang der
massiven russischen Aufrüstung auch über den russischen Angriffskrieg gegen die
Ukraine hinaus zur Aufstellung und Stärkung von gegen den Westen gerichteten
Fähigkeiten und Kapazitäten genutzt werden. Mit diesen Waffen bedroht Russland
die Länder Europas und hat zu verschiedenen Anlässen auch Drohungen
ausgesprochen.

Die durch Russland bereits erfolgte Stationierung von bis weit nach Westeuropa
reichenden, auch nuklear bestückbaren Flugkörpern sowie vorhandene
multidimensionale Fähigkeiten und der russische Versuch, die Ukraine durch einen
Angriffskrieg zu unterwerfen, bringen eine erheblich veränderte Bedrohungslage
mit sich. Vor dem Hintergrund dieser Bedrohungslage hat die Bundesregierung 2023
in der Nationalen Sicherheitsstrategie angekündigt, die Luftverteidigung in
Europa grundlegend zu verstärken und abstandsfähige Präzisionswaffen zu
entwickeln und einzuführen.

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Diese Ziele wurden von Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede bei der Münchner
Sicherheitskonferenz im Februar 2024 erneut bekräftigt. Eine entsprechende
multinationale Initiative („European Long Range Strike Approach" / ELSA) wurde
am Rande des NATO- Gipfels in Washington, D.C. von den Verteidigungsministern
Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Polens gezeichnet. Weitere Nationen
haben ihr Interesse an der Initiative bekundet. Der grundlegenden Verstärkung
der Luftverteidigung in Europa dient auch die von der Bundesregierung im August
2022 lancierte European Sky Shield Initiative (ESSI).

Auch die nun angekündigte, zunächst phasenweise Stationierung weitreichender
konventioneller US-Waffensysteme in Deutschland dient dem von der
Bundesregierung gesetzten Ziel der Stärkung der Abschreckung und Verteidigung in
Reaktion auf die von Russland ausgehende Bedrohung. Mit der Stationierung
weitreichender konventioneller US-Waffensysteme in Deutschland bekräftigen die
US-amerikanische Regierung und die Bundesregierung gemeinsam erneut die
Bedeutung der transatlantischen Partnerschaft für die Verteidigung
Europas. Diese Systeme tragen zu einer effektiven und glaubwürdigen Abschreckung
und zum Schutz Deutschlands und seiner Verbündeten bei.

Konkret ist beabsichtigt, dass die USA bestimmte Einheiten (Multi-Domain Task
Force) in Deutschland ab 2026 mit weitreichenden konventionellen Waffensystemen
ausstatten werden. Diese Stationierung soll zunächst zeitweise und im Rahmen von
Übungen als Teil der Vorbereitung einer dauerhaften Stationierung
erfolgen. Diese Waffensysteme werden über eine deutlich größere Reichweite als
die derzeitigen landgestützten Systeme in Europa verfügen. Dies bedeutet eine
erhebliche Steigerung der notwendigen Fähigkeiten in Europa.

Die USA beabsichtigen die Verlegung mehrerer Systeme. Hierzu gehören Tomahawk-
Marschflugkörper , SM-6-Raketen sowie Systeme, die sich mit mehrfacher
Schallgeschwindigkeit (Hyperschall) bewegen können . Genaue Zahlen,
Zusammensetzungen und Stationierungsorte sind derzeit noch in der Planung.

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Bei all dem bleibt die Bundesregierung in ihrer Sicherheits- und
Verteidigungspolitik dem Erhalt und der Weiterentwicklung der globalen
Rüstungskontrollarchitektur sowie der Reduzierung von Risiken und der Prävention
von Eskalation verpflichtet.

Die Bundesregierung hat, zusammen mit den europäischen und amerikanischen
Verbündeten, Russland in den vergangenen Jahren mehrfach aufgefordert, keine
Mittelstreckensysteme zu entwickeln und zu stationieren und ihre
Gesprächsbereitschaft signalisiert. Seitdem hat Russland weitere bodengestützte
Mittelstreckensysteme entwickelt und nutzt einige davon in der Ukraine. Russland
ist bis heute nicht bereit, diese Systeme abzurüsten und bedroht Europa durch
Waffen dieser Art.

Effektive und verifizierbare Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung und Abrüstung
tragen komplementär zu Abschreckung und Verteidigung zur Sicherheit Deutschlands
und seiner Verbündeten bei. Die NATO bekennt sich zudem weiterhin dazu,
Kommunikationskanäle mit Moskau aufrechtzuerhalten, um Risiken einzudämmen und
Eskalation vorzubeugen, so zuletzt auch in der Erklärung des NATO-Gipfels in
Washington, D.C. dargelegt.

Wir werden Sie über die weiteren Entwicklungen informiert halten. Für Fragen
stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.


Siemtje Möller
Parlamentarische Staatssekretärin

Dr. Tobias Lindner Staatsminister
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